Sleeping Beauty
Bis vor fünf Jahren konnte man darauf wetten: Bläst Südost, gibt es Regen. Das ist vorbei. Der Klimawandel ist dem Wetter die Demenz. Ähnliches widerfährt den Prognosen; sie ändern sich auf den kanadischen Haida Gwaii halbtäglich – wie letzthin unmittelbar erfahren. Morgens brachen wir zu einer fünftägigen Küstenwanderung auf, nachmittags hätten das unsere Gastgeberinnen nicht mehr zugelassen. Für die bevorstehende Nacht und weiteren Tage wurde neu ziemlich viel, unzimperlich starker Südostwind vorausgesagt. Mit Regen. Das kostete uns am ersten Morgen in der Wildnis unangenehm viel Zeit bis das Feuer brennt. Und Nerven Heilanddonner! Das via Satellit konsultierte Wetter zwingt uns derweil widerwillig zur Umkehr. Zur Erleichterung der Gastgeberinnen. Denn inzwischen wird vor Sturm gewarnt. Ein beeindruckendes Paar übrigens, die zwei Frauen. Die jagen, fischen, halten glückliches Gefieder, verarbeiten alles selber – vom finalen Schlag oder Schuss bis zum Teller – und leben in einem selbst erbauten Haus, wo sie zwei Kinder gross zogen. Echte Pionierinnen der gleichgeschlechtlichen Sache. Wir sind ihnen für ein paar Wochen freiwillige Mitarbeitende. Da es uns sehr zusagt doppelt so lange wie geplant. Eine Hügelformation der Insel trägt den Namen Sleeping Beauty. Es ist das Gesicht einer liegenden Frau im Profil. Eine wahrhaft schöne Analogie zum schlummernden Riesen von Olten. Nur wirkt der Mann vom Jura markant sanfter, geheimnisvoller denn die Schönheit von Haida Gwaii. Und ist ersichtlicher. Sie hingegen ist auf Landkarten vermerkt und der Wanderweg entsprechend benannt. Da können Touristiker im Kanton Daheim noch ganz schön viel lernen.