Was ist Heimat?
Schwungvoll hebt uns das Riesenrad in die Luft. Zu unseren Füssen liegt das Lenzburger Gewerbequartier mit dem Zeughaus, wo mein Gatte und ich an diesem Nachmittag die Ausstellung «Heimat – eine Grenzerfahrung» besuchen. Es ist der letzte Sonntag der Sommerferien, das Riesenrad ist eine Station auf dem interaktiven Rundgang. «Heimat ist das Gefühl, wenn man unverstellt sich selber sein kann – diesen Satz fand ich gut», sinniert mein Gatte, die Augen auf Schloss Lenzburg geheftet, das wie gemalt über dem Städtchen thront.
«Und was hat dir besonders gefallen?», fragt er.
Das Riesenrad schwingt uns weiter nach oben bis zum höchsten Punkt, 32 Meter über dem Boden. Dann halten wir. Mein Blick wandert zur Jurakette, die sich markant vom Himmel abhebt und gegen Westen scheinbar ins Unendliche verjüngt. Ich erkenne den Wisenberg mit seinem Turm. Was ist Heimat für mich? «Der Ort, wo meine Wurzeln sind: am Jurasüdfuss», würde ich normalerweise sagen. Doch nach den fast vier Wochen, die wir im Sommer in den Vogesen verbracht haben, muss ich mir gestehen: Auch dort habe ich etwas Wurzeln geschlagen. In Bains-les-Bains haben wir den Quatorze Juillet mitgefeiert, ausgelassen wie echte Franzosen. Und auch andere Orte der Welt und ihre Menschen sind mir lieb geworden. «Es ist ähnlich wie bei dir», antworte ich meinem Gatten: «Heimatlich sind bei mir vor allem Empfindungen.»
Tags darauf schlendere ich über die Oltner Chilbi. Und da spüre ich es ganz deutlich: Diese seit frühster Kindheit vertrauten Gerüche von Magenbrot und gebrannten Mandeln, der Zauber eines freien Montags, bevor die Schule wieder anfängt. Auch das ist Heimat. Glücklich steige ich beim Klosterplatz aufs Riesenrad.