Halbe-halbe

Irène Dietschi, Journalistin.
Irène Dietschi, Journalistin.

Mein Gatte und ich sitzen spätabends vor dem Fernseher und staunen. «Das sind ja die
90 Jahre!», kommentiert mein Gatte, «die haben wohl unterm Stein gelebt.» Es ist eine Talk- show, die wir am Bildschirm verfolgen. Gast ist der ehemalige Diplomat und Noch-Nationalrat
Tim Guldimann. Guldimann, der in Berlin lebt, gibt nach nur zweieinhalb Jahren sein NR-Mandat ab – er habe zu wenig Zeit für seine Familie. «Wie ist es denn», fragt der Talkmaster, «wenn man seine Zeit zwischen politischer Karriere und der Familienarbeit aufteilen muss?» Mein Gatte schüttelt den Kopf. «Der Mann will sich um seine Töchter kümmern – was ist daran so Besonderes?»

Das Besondere ist, dass der 67-jährige Guldimann und seine Frau ein partnerschaftliches Familienmodell praktizieren. Die Eheleute teilen sich Berufs- und Familien- bzw. Hausarbeit
halbe-halbe. Paare mit egalitärer Rollenteilung sind in der Schweiz eine Minderheit – doch das Modell findet immer mehr Zuspruch. Und: Es ist ein Erfolgsmodell. So das Fazit der Sozial- forscherin Margret Bürgisser, die eine Langzeitstudie über «Rollenteilungspioniere» verfasst hat. Bürgisser sagt: «Die Paarbeziehungen sind stabil, die Karrierechancen intakt, und beide Partner sind in diesem Modell zufrieden.» Mein Gatte und ich können die Ergebnisse aus eigener Erfahrung bestätigen: Auch wir haben alle Aufgaben immer gleich aufgeteilt.

Allerdings zeigt Bürgissers Studie auch, dass die Schweiz zu wenig tut für eine vereinbarkeits- freundliche Familienpolitik. Es bräuchte etwa günstigere Kitaplätze oder eine Elternzeit nach europäischem Modell, findet die Forscherin. So gesehen, ist es vielleicht doch schade, dass Familienpolitiker Guldimann den Bettel hinschmeisst.

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