«In der Schweiz kann ich endlich wieder aufatmen»

Asylunterkunft ALST Seit Ende September wird die Truppenunterkunft ALST im Oltner Gheid vom Kanton Solothurn als Durchgangszentrum für Asylbewerber genutzt. Einer der Bewohner ist auch der 23-jährige Syrier Awaz Masul, der nach seiner Odyssee quer durch Europa in Olten Zuflucht fand.

Flüchtling Awaz Masul: «Die Schweiz bedeutet für mich Zivilisation.» (Bild: vwe)
Flüchtling Awaz Masul: «Die Schweiz bedeutet für mich Zivilisation.» (Bild: vwe)

Die anhaltende Flüchtlingswelle begegnet uns mittlerweile nicht nur in jeglichen nationalen sowie internationalen Print-, Fernseh- oder Online-Medien, sondern betrifft auch ganz konkret die kantonalen Asylunterkünfte, welche momentan stark ausgelastet sind. Um dem herrschenden Unterbringungsproblem entgegen zu wirken, nimmt der Kanton Solothurn seit Ende September die Truppenunterkunft ALST im Oltner Gheid in Betrieb und belegt sie Schritt für Schritt mit Asylbewerbern. Geführt wird das sogenannte Durchgangszentrum in Olten von der ORS Service AG, die sich auf professionelle Asylbetreuung spezialisiert hat. «Momentan leben 21 Asylbewerber in der Militärunterkunft. Die Tendenz ist jedoch steigend und die Maximalbelegung von 80 Asylsuchenden kann schnell erreicht sein», erklärte Ralph Spirgi, der die Leitung des Durchgangszentrum in Olten vor einer Woche übernahm.

Bei jeder Freitags-Demonstration dabei

Einer der 21 Asylbewerber ist auch der 23-jährige kurdischstämmige Syrer Awaz Masul. Seine Geschichte steht nur für eine von vielen Flüchtlingsschicksalen und doch ermöglicht sie einen Einblick in das Leben und Denken eines jungen, gebildeten Syriers in seinen frühen Zwanzigern. Aufgewachsen ist Masul mit seinen Eltern sowie zwei Schwestern und Brüdern in der Stadt Qamischli, die im Nordosten Syriens genau an der Grenze zur Türkei liegt. Früher noch als multiethnischer Ort bekannt, wird Qamischli sowie die Region Rojava seit dem syrischen Bürgerkrieg von der kurdischen Miliz beherrscht und es bildeten sich dort de facto eigene politische Strukturen. «Der Alltag von mir und meiner Familie war von ständiger Bedrohung geprägt. Sowohl von IS-Terroristen, der syrischen Armee unter Präsident Baschar al-Assad als auch der kurdischen Miliz wurde ich verfolgt. Ich konnte keiner Seite wirklich vertrauen», erinnert sich der 23-Jährige zurück. Trotzdem habe er weiterdemonstriert und sich gewehrt. «Seit dem Arabischen Frühling 2011 ging ich jeden Freitag auf die Strasse, um meinem Unmut über die syrische Regierung und die Situation der Kurden Ausdruck zu verleihen», erzählt der kurdische Syrer.

«Ich träume regelmässig vom Krieg»

Auch in humanistischen Organisationen war Awaz Masul tätig und drehte als Journalist für den «Arabic TV Channel» Videos und Interviews von den Kriegsgebieten in seiner Region. Seine Tätigkeiten blieben jedoch nicht unentdeckt. Drei Mal wurde er sowohl von der syrischen Regierung als auch dem kurdischen Miliz-Regime verhaftet. «Da sie jedoch nichts gegen mich in der Hand hatten, ich einen Journalistenausweis besass sowie einige Personen für mich demonstrierten, liessen sie mich nach einigen Tagen oder Wochen jeweils wieder frei», erinnert er sich. Sein Geologie-Studium, das er in der östlichen Stadt Deir ez-Zor besuchte, musste er auf Grund der kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen der freien syrischen Armee und den Assad-Truppen beenden. «Ich habe in Deir ez-Zor die kriegerischen Angriffe stets miterlebt und musste mich teilweise bis zu sechs Stunden mitten im Schussfeld verstecken. Von diesen Erlebnissen träume ich seither regelmässig, sie verfolgen mich.»

Motorstopp kurz vor Griechenland

Nachdem die Bedrohung für ihn zu gross wurde und ihm mit der Ermordung seiner Familie gedroht wurde, sofern er nicht verschwinde, entschloss sich Masul mit Freunden zur Flucht. Zwei Jahre lang hatte er dafür gespart. «Während des nächtlichen Passierens des Grenzübergang Nusaybin/Qamischli schoss die türkische Armee auf uns und wollte so unsere Einreise verhindern.» Nur ein Tag später trat er mit anderen Männern, Kindern und Frauen in einem alten Plastik-Motorboot die Überfahrt nach Griechenland an. Von dort führte ihn sein Weg über Mazedonien, Serbien, Ungarn bis nach Österreich. «Den grössten Schreckensmoment hatten wir, als zirka 500 Meter vor der griechischen Küste der Motor unseres Bootes für einen Moment aussetzte. Auf dem kleinen Gefährt herrschte eine riesige Panik.» Nach dem langersehnten Wiedersehen mit seinem Bruder, der vor ihm flüchtete und in Linz (AUT) Asyl beantragt, entschloss er sich für die Reise in die Schweiz. «Mein Cousin lebt hier in Luzern und versprach mir seine Hilfe», begründet Awaz Masul diese Wahl und fügt an: «Kurz nachdem ich die Grenzen in die Schweiz per Zug überquert hatte, konnte ich endlich wieder aufatmen. Hier fühle ich mich sicher.»

«Die Schweizer sollten sich selber ein Bild über uns Flüchtlinge machen»

Nun weilt Awaz Masul seit gut einer Woche in der ALST Gruppenunterkunft im Gheid. «Obwohl unser Zentrum von aussen wie ein Gefängnis wirkt, fühle ich mich wohl hier und werde gut behandelt.» Auch sonst gefalle ihm Olten. «Ich gehe regelmässig in der Stadt spazieren und geniesse, wie sauber es hier ist. Alle Passanten lächeln einen an und helfen gerne, wenn man den Weg nicht findet.» Auch über Besuch von Einwohnern in seiner Unterkunft würde er sich sehr freuen, um so schnell wie möglich neben arabisch, kurdisch, türkisch und englisch auch die deutsche Sprache zu erlernen. «Es wäre wichtig, dass sich die Schweizer Bevölkerung selber ein Bild über uns Flüchtlinge macht und nicht nur den Erzählungen der Medien und Politiker glaubt.»

«Warum bin ich nicht hier geboren?»

Das Leben in der Schweiz sei ganz anders als in Syrien, wo jeder Angst um sein Überleben haben müsse und man niemandem vertrauen könne. Er frage sich oft, warum er nicht das Glück hatte, in einem solchen Land aufgewachsen zu sein. Warum es gerade ihm nicht vergönnt war, sein Studium zu beenden und in ein gutes Berufsleben zu starten. «Ich bin seit meiner Geburt mit Unterdrückung und Zerstörung konfrontiert. In der Schweiz hingegen herrscht Zivilisation und Demokratie. Eine solche Stabilität wünsche ich mir für Syrien.» Seine Schwestern und seine Eltern musste Masul in seinem Heimatland zurücklassen. Wann und ob er sie wiedersehen wird, ist ungewiss. «Ich würde gerne wieder zurück, aber momentan ist es einfach zu gefährlich», hält der 23-Jährige nüchtern fest. Eines hat er seinem Vater vor seiner Abreise aus Syrien jedoch versprochen: «Ich möchte mein Geologie-Studium in der Schweiz erfolgreich beenden und danach in ein gutesArbeitsleben starten.»

Weitere Artikel zu «Stadt», die sie interessieren könnten

Stadt28.02.2024

«Heute sind sie hibbeliger»

Rosmarie Grünig Seit 45 Jahren unterrichtet sie Ballett, seit mehr als 40 Jahren im Dance Studio Olten. Anfang Mai findet aus diesem Anlass in…
Stadt21.02.2024

Kunst, nicht Kinderhort

Theaterstück Mitte März gelangt im Theaterstudio Olten ein Tanz- und Musiktheater zur Aufführung. Das Besondere daran: Protagonisten sind bei «Alice…
Stadtrat beantragt parlamentarische Kommission
Stadt21.02.2024

Stadtrat beantragt parlamentarische Kommission

Im Januar hat das Gemeindeparlament der Stadt Olten die neue Vorlage zum Projektierungskredit Kirchgasse 8 und 10 knapp zurückgewiesen; diese sah eine Sanierung…