Einmal Bulgarien und zurück

Kunstmuseum Olten Mit «Import/Export» vom Zürcher Künstler Roland Roos gibt es eine etwas andere «Ausstellung» im Kunstmuseum Olten zu erleben. Kurzent- schlossene haben in den nächsten Tagen noch die Möglichkeit, sich für eine Woche Bulgarien vorzubereiten, um dort in einer Textilproduktion den Arbeitsalltag kennenzulernen.

Die Wangnerin Serena Kiefer (rechts, vorne) arbeitete während zwei Wochen in einer Textilproduktions-Firma in Bulgarien. (Bild: ZVG)
Die Wangnerin Serena Kiefer (rechts, vorne) arbeitete während zwei Wochen in einer Textilproduktions-Firma in Bulgarien. (Bild: ZVG)

Würden Sie nach Bulgarien reisen und dort zwei Wochen in einer Textilfabrik arbeiten, um zu überprüfen, ob Ihre Vorstellungen von den dortigen Arbeitsbedingungen mit der Realität übereinstimmen? Die Wangner Textildesignerin Serena Kiefer und Lorenz Wiederkehr, Kunsthistoriker und ehemaliger Praktikant des Kunstmuseums Olten, haben es gewagt und berichteten dem Stadtanzeiger aus Bulgarien, wie sie ihren Arbeitseinsatz im Osten erleben.

Das Kunstmuseum wird zum Reisebüro

Lanciert wurde die «Ausstellung» im Kunstmuseum Olten vom 43-jährigen Zürcher Künstler Roland Roos. «Roos thematisiert mit seinen partizipativen, den Kunst-Kontext bewusst überschreitenden Projekten Arbeitsprozesse im Spannungsfeld wirtschaftlicher und gesell- schaftlicher Systeme», erklärt Katja Herlach, Kuratorin und stellvertretende Direktorin am Kunstmuseum Olten. Der Künstler setzt dabei auf Selbsterfahrung und bindet entsprechend die Besucher mit ein. Für die Ausstellung «Import/Export» hat sich Roos stark mit dem Thema Arbeitsmigration beschäftigt, am Beispiel der nach Osteuropa, Asien und Afrika ausgelagerten Textilproduktion. Wider Erwarten traf Roos bei einem zweiwöchigen Arbeitseinsatz in Bulgarien nicht auf schreckliche Bedingungen. Trotzdem verlor das Textilproduktionsunternehmen Pirin-Tex in den vergangenen Jahren 1’000 Arbeitskräfte. «Viele Personen verlassen ihren Wohnort, da sie im Westen bessere Arbeits- und Lebensbedingungen erwarten», zeigt Herlach auf. Aus diesen Gründen sei es für den Künstler ein Anliegen gewesen, dass sich interessierte Schweizer/innen ein eigenes Bild machen. Roland Roos, dessen künstlerische Praxis sich der Produktion von physischen Objekten verschliesst, hat das Parterre des Museums zum Reisebüro, zur Sprach- schule und zum Nähatelier umfunktioniert. Während im Eingangsbereich Flyer mit markigen Sprüchen und Videos über die Textilproduktion bei Pirin-Tex für den «Erlebnisurlaub in Bulgarien» werben, geht es in den beiden anderen Räumen - dem sogenannten Training Ground - um das Erwerben der Grundkenntnisse, die für einen Einsatz in Bulgarien nötig sind.

Ein Land nicht wie ein Tourist erleben

«Als ich im August die Einladung für den Erlebnisurlaub in Bulgarien gesehen habe, war ich sofort begeistert», erzählt Serena Kiefer. «Ich fand es eine gute Gelegenheit, um meine Komfortzone zu verlassen, neue Leute kennenzulernen und ein mir unbekanntes Land einmal nicht wie ein Tourist zu entdecken», so die 64-jährige freischaffende Textildesignerin aus Wangen bei Olten. Vor einigen Wochen besuchte sie deshalb das Kunstmuseum Olten, um unter Anleitung von Künstler Roland Roos das Nähen auf den Profi-Nähmaschinen und einen Bulgarisch-Crash-Kurs zu absolvieren. Den Eignungstest bestanden, reiste Kiefer gemeinsam mit zwei anderen Personen und dem Künstler nach Bulgarien. «Nach einer Einführung bei Pirin-Tex, bei der 2’000 Personen tätig sind, wurde ich sogleich in der Abteilung Damenbekleidung ganz nach dem Motto «Learning by doing» eingesetzt. Manche Kleidungsstücke bestehen aus bis zu 50 Teilen, was eine gewisse Komplexität mitbringt», erzählt Kiefer, deren Vorstellungen über die Arbeitsbedingungen sich nicht mit dem Erlebten decken. «Bei Textilproduktionen kommen mir jeweils die schlimmen Bilder von Bangladesch in den Sinn, die miserable Zustände zeigen. Daneben hatte ich bedenken, ob ich mit meinen begrenzten Kenntnissen die Anforderungen für diese Tätigkeit erfüllen würde», erzählt Kiefer. Ein naheliegender Gedanke, denn schliesslich fertigt Pirin-Tex Kleidungsstücke für Top-Labels wie beispielsweise Boss, Stella Mccartney oder Joop an.

Ein grosser Widerspruch

Den 30-jährigen Kunsthistoriker Lorenz Wiederkehr quälten ähnliche Fragen: Kann ich die repetitiven Arbeiten ausführen und aushalten? Zudem stellte auch er sich ausgehend von seinen Vorstellungen auf schwierige Arbeitsbedingungen ein. Die beiden waren für die Frühschicht eingeteilt, die von 6 bis 14.30 Uhr dauert und zwei kurze Pausen sowie eine dreissigminütige Verpflegungspause beinhaltet. Als Mitgliedstaat der EU garantiert Bulgarien gewisse arbeits- rechtliche Normen. «Ich hatte nicht das Gefühl, dass die Mitarbeiter/innen, die uns gegenüber sehr nett, hilfsbereit und interessiert sind, ausgenutzt werden. Sie verdienen zwar nicht viel, trotzdem habe ich den Eindruck gewonnen, dass es sich um eine sozial engagierte Firma handelt, die faire Arbeitsbedingungen bietet», meint Wiederkehr, der gemeinsam mit 200 Frauen während acht Stunden Innentaschen in Sakkos näht. «Die Arbeiterinnen werden kontrolliert betreffend Menge und Fehlerquote. Trotzdem herrscht eine angenehme Stimmung und es wird geredet und gelacht.» Nichtsdestotrotz würden einige Frauen während 20 Jahren, sechs Tage in der Woche ihre acht Stunden in dem Betrieb arbeiten. «In diesem Zusammenhang gibt die grosse Diskrepanz zwischen dem Verdienst der Angestellten und dem Verkaufspreis der Sakkos zu denken», so der Kunsthistoriker.

Etwas Urlaub muss sein

Die Erlebnisurlauber wohnen in einer grosszügigen Wohnung in Zentrum der Kleinstadt Goze Deltschew, in welcher jede Person ihren eigenen Raum hat und sich alle eine Gemeinschafts- küche teilen. Nach einem 15-minütigen Fussmarsch erreichen sie die Textilproduktion. Der Flug und die Unterkunft werden durch Roland Roos bezahlt. Zudem erhält jede Person 5 Lews
(rund 3 Franken) Taggeld. Neben den doch anstrengenden Arbeitstagen hatten die «Urlauber» trotzdem die Möglichkeit, sich gewisse Sehenswürdigkeiten anzusehen. Serena Kiefer und ihre Begleiter/innen unternahmen einen Ausflug ins Pirin Gebirge und wurden einmal vom Geschäfts- inhaber der Pirin-Tex auf einen Ausflug eingeladen. Ausserdem besuchte sie gemeinsam mit Lorenz Wiederkehr die Hauptstadt Sofia und das Rila Kloster. Während Lorenz Wiederkehr noch eine Woche in Bulgarien arbeitet, ist Serena Kiefer inzwischen wieder in Olten angekommen. Die beiden würden einen Arbeitsaufenthalt in Bulgarien auf jeden Fall weiterempfehlen. «Ich konnte viel lernen, habe nette Menschen kennen gelernt und gute Diskussionen geführt», betont Kiefer.

Sonntag, 19. November, 15 Uhr: KünstlerGespräch mit Roland Roos und Finissage

Reise nach Bulgarien:

Konzeptprojekt «Import / Export»
10. September bis 19. November

Schnellentschlossene können sich in noch in den nächsten Tagen für einen Bulgarien-Aufenthalt im Kunstmuseum Olten anmelden.
Nach bestandenem Eignungstest im Kunstmuseum Olten:
-Flug nach Sofia
-Unterkunft im Zentrum von Goze Deltschew
-Tagespauschale für Verpflegung (ca. 3 Franken)

Einführungskurs für den Eignungstest mit Roland Roos:
Donnerstag, 9.11.2017 von 17 bis 19 Uhr

Bulgarisch-Crash-Kurs:
Samstag, 11.11.2017 von 10 bis 12 Uhr

Auskunft:
Kunstmuseum Olten
T 062 212 86 76

<link http: www.kunstmuseumolten.ch>www.kunstmuseumolten.ch

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