Bollywood in Olten
Arthi Noel erlebte den Bürgerkrieg in Sri Lanka sowie den Tsunami hautnah und trotzdem strahlt sie mit der Sonne um die Wette.

Arthi Noels angenehme Stimme eilte ihr durch den langen, eckigen Korridor des Kapuzinerklosters voraus. Die Tamilin spricht fliessend Mundart. Sie kennt sich im Kloster bestens aus. Ihr Mann Noel Mariampillai arbeitet seit rund 12 Jahren als Allrounder im Kapuzinerkloster. Die Kapuziner haben den Flüchtlingen moralisch, juristisch und mit Körpereinsatz sehr geholfen, erklärt die 35-Jährige.
Sie selbst sei nicht katholisch, sondern hinduistisch. Doch dies spiele im Kloster keine Rolle und für sie ebenfalls nicht. Diese Offenheit ist aussergewöhnlich für eine Tochter eines Hindupriesters. Ihr Vater war, bevor er aus gesundheitlichen Gründen zurücktreten musste, im indischen Tempel in Trimbach als Priester tätig. In Sri Lanka wären sich Noel und ihr Mann niemals begegnet, denn sie gehört neben den verschiedenen Religionszugehörigkeiten auch einer höheren Kaste an.
Noel flüchtete 1994 während des Bürgerkrieges in Sri Lanka als 18-Jährige mit ihrer Familie in die Schweiz. Noch im selben Jahr kreuzten sich die Blicke von Noel und ihrem Lebenspartner auf der Oltner Holzbrücke. «Ich habe mich sofort verliebt», erzählt sie strahlend. Ab und zu hatten sie sich auf der Holzbrücke verabredet, um fünf Minuten miteinander zu sprechen, stets beachtend, dass sie niemand sieht. Das Liebespaar wurde dennoch entdeckt. «Meine Eltern waren äusserst enttäuscht von mir», erklärt Noel. Sie versprach ihnen, ihren Liebsten nicht mehr zu treffen. Somit sah sie ihn mehrere Jahre nicht mehr.
«Ich wollte unbedingt lernen»
Noel und ihre Schwester wollten nach ihrer Flucht sofort eine Schule besuchen, und dies ohne Deutschkenntnisse, abgesehen vom Basiskurs an der VHS. «Eine Kollegin setzte sich damals sehr für uns ein. Dank ihr durften wir das Gymnasium im Hardwald besuchen», sagt Noel mit dankendem Unterton. Nach einem anstrengenden halben Jahr entschied sie sich, die DMS zu absolvieren. Danach musste Noel zu Hause bleiben, denn eine Lehre zu absolvieren oder zu arbeiten ist Personen im Flüchtlingsstatus nicht erlaubt. «Dies war eine sehr harte Zeit für mich», sagt Noel, «ich hätte sogar einen Ausbildungsplatz bekommen. Mit menschlichem Verstand konnte ich dieses Gesetz beim besten Willen nicht nachvollziehen, denn das Ende des Bürgerkrieges war keinesfalls abzusehen.» Caritas verhalf dem jungen Flüchtling zu einer Ausnahmebewilligung für ein Praktikum über sechs Monate im Altersheim Derendingen. Danach blieb ihr wieder nichts anderes übrig, als Zuhause zu bleiben. Im Jahr 2000 wurde der entsprechende Gesetzesartikel revidiert. Und sie konnte im Altersheim Haus im Park in Schönenwerd eine Arbeitsstelle antreten: «Ich war überglücklich.»
Alte Liebe rostet nicht
Auf dem Weg zur Arbeit traf sie am Bahnhof auf ihre einstige grosse Liebe: Noel Mariampillai. Die Begegnung entfachte ihre Gefühle: «Ich konnte nichts dagegen tun», so Noel. Und so heiratete das verliebte Paar am 26. Januar 2001. Noels Familie – ihre Eltern, zwei Schwestern und ein Bruder – sprachen kein Wort mehr mit ihr. Der Kontakt war fünf Jahre lang abgebrochen. «Die Zeit heilt vieles. Familie, Freunde und Bekannte haben unsere Heirat nun akzeptiert», erzählt Noel, der die Familie sehr viel bedeutet. Im Altersheim St. Martin wurde im Jahr 2002 eine Stelle frei. Dort arbeitete Noel acht Jahre.
Acht Jahre nach ihrer Flucht bekam sie die Aufenthaltsbewilligung B: «Ich war froh, dass ich wieder reisen durfte.» Noel buchte mit ihrem Mann den Flug in den südlichen Teil von Sri Lanka. Dann die Schreckensmeldung: Der Tsunami verwüstete eine Woche vor der geplanten Abreise ihre Destination. Sie entschieden sich, trotzdem hinzugehen und zu helfen. Die Bilder der Verwüstung und des Elends zu verarbeiten, war für Noel schwierig. Sie sahen nicht Leichenberge, aber Knochen und Asche. Das Ehepaar half, wo es konnte. Dank der Unterstützung der Oltner Kapuziner spendeten sie das Allernötigste: Kissen, Fahrräder, Taschenlampen, Zelte, Fischerruten und -netze.
«Dieses Ereignis war der Auslöser, um mich ehrenamtlich zu betätigen», erzählt Noel. Sie gründete in Kandy (Mittelland von Sri Lanka) einen Kindergarten nach dem internationalen Maria-Konzept für arme Kinder, egal welcher Religion und welcher Kaste sie angehören. Das Konzept war gut, die Lehrerin professionell, das Schulgebäude in Ordnung, doch ein grosser Ansturm blieb aus. «Ich verstehe dies nicht, denn die Bildung in Sri Lanka ist nur mittelmässig. Die Kinder hätten viel profitieren können», so Noel mit fragendem Blick. Sie schloss den Kindergarten im Dezember 2012. «Ich müsste stets vor Ort sein, um den Grund herauszufinden und das Projekt aufzubauen», erklärt sie. Noel engagiert sich aber weiterhin mit ihren eigenen finanziellen Mitteln für einzelne Hilfsprojekte.
Als Reiseleiterin in Sri Lanka unterwegs
Mit ihrem Mann Noel Mariampillai eröffnete sie in Sri Lanka am Maria-Wallfahrtsort Madhu ein Restaurant, in welchem ihre Schwiegereltern arbeiten. Bruder Werner und Bruder Raymond waren bei der Eröffnung am 5. August 2012 dabei. Ihr Mann sei der Brückenbauer zwischen den Kapuzinern und den katholischen Pfarrern in Sri Lanka. Noel übernahm in den zwei Wochen die Reiseleitung und den Übersetzungsdienst für die Katholiken. In Sri Lanka ist alles anders als in der Schweiz: Mentalität, Kultur, Essgewohnheit, Schulsystem, Verkehr, Religion, Landschaft, Wertesystem, Menschenrechte – «einfach alles», so Noel, die bisher keine Gemeinsamkeit entdeckte. Noel kennt die Werte der Schweiz und jene von Sri Lanka, so kam es vor, dass sie, um den Kapuzinern eine «saubere» Toilette anbieten zu können, 5 bis 6 Kilometer fuhr.
In Noels Brust schlagen zwei Herzen: «In der Schweiz fühle ich mich physisch wohl, mein soziales Umfeld ist hier und ich schätze die Rechte der Frau. In Sri Lanka fühle ich mich psychisch wohl, denn hier sind meine Wurzeln, meine Muttersprache, mein Essen, meine Kultur.» Noel pendelt zwischen zwei Wertesystemen: Mindestens vier Mal im Jahr reist sie nach Sri Lanka.
Zu Beginn lebte ich dort so wie hier: «Ich putzte mein WC selbst, kochte und ass im gleichen Restaurant wie der Chauffeur», sagt Noel, welche aufgrund ihrer Kaste in Sri Lanka wie eine Königin behandelt wird. Doch dies kam überhaupt nicht gut an. Ihre Angestellten im neu eröffneten Restaurant schätzten dies nicht und dachten nach den Erklärungen, dass jeder Mensch gleich viel Wert ist, sie hätten die gleichen Rechte wie der Chef. Danach lief alles aus dem Ruder und Noel musste sich eingestehen, dass sie nicht jahrhundertalte Regeln ignorieren sollte.
Noel beschreibt sich als eine spontane Person. Sie nehme das Leben, wie es komme. Man darf gespannt sein, welche Schritte sie als nächstes macht. Vielleicht schreibt die Tamilin einst eine Biografie über ihr bewegtes Leben, lesenswert wäre sie allemal.