Das Stadtarchiv lässt ihn bis heute nicht los

Was macht eigentlich? Er war lange Jahre Bezirkslehrer in Hägendorf und nebenamtlicher Stadtarchivar in Olten. Seit 20 Jahren schon ist er im Ruhestand. Die Agenda von Martin Eduard Fischer ist aber auch mit 85 noch gut gefüllt.

Bei Kaffee und Gipfeli in der Buchhandlung Schreiber ist Martin Eduard Fischer regelmässig anzutreffen. (Bild: Achim Günter)
Bei Kaffee und Gipfeli in der Buchhandlung Schreiber ist Martin Eduard Fischer regelmässig anzutreffen. (Bild: Achim Günter)

Martin Eduard Fischer stützt sich auf einen Gehstock. Er geht bedächtig. Nach einem üblen Sturz kürzlich fällt ihm das Gehen derzeit schwerer als auch schon. Aber doch nicht so schwer, dass er auf die traditionellen Wanderferien im herbstlichen Oberwallis verzichten würde. Im Kopf, geistig, ist der 85-Jährige ohnehin hellwach und fit. Ermüdungserscheinungen sind keine auszumachen.

Wir treffen uns im «Schreiber» zum Kaffee. Hier, umgeben von Büchern, fühlt sich der vierfache Grossvater wohl. So wohl, dass er die Buchhandlung gleich mehrmals wöchentlich aufsucht – meist in Begleitung seiner Frau. Es ist schon fast ein Ritual. «Hier trinke ich immer einen Kaffee und esse zwei Gipfeli dazu. Es gibt den besten Kaffee der Stadt.»

Hinter dem Tischchen im oberen Stockwerk, wo wir Platz nehmen, ist Martin Eduard Fischer auch im Bücherregal präsent. «Unsere Stadtkirche» heisst eine der jüngsten Publikationen des Vielschreibers. Zahlreiche Bücher und Büchlein gab Fischer nach Antritt seines Ruhestandes vor 20 Jahren heraus. Der frühere Bezirkslehrer und langjährige Oltner Stadtarchivar ist noch immer aktiv und engagiert. «Habe ich keine auswärtigen Termine, sitze ich am Computer und schreibe.» Die Liste seiner Publikationen ist lang. Und lang ist auch die eigens mitgebrachte Liste unter dem Titel «Publizistisches ungedruckt».

Eine Schulklasse mit 56 Kindern

Fischer hat auch viel Spannendes aus dem Privatleben zu erzählen. Und bei so mancher Episode aus seinen über acht Lebensjahrzehnten denkt man unweigerlich: längst vergangene Zeiten, heute wäre derlei undenkbar! Wenn er von seinen Anfängen als Lehrer Ende der 1950er-Jahre berichtet etwa. Fischer, Jahrgang 1938, wuchs in Olten als Sohn eines Bezirksschullehrers auf. Sein Werdegang wurde weitgehend vom Vater bestimmt. Wie dieser wählte er den Lehrerberuf. 1958, mit gerade mal 20 Jahren und vor Abschluss der Lehrerausbildung, wurde er ins kalte Wasser geschmissen. Aufgrund des Lehrermangels sollte er in Eppenberg eine Primarschulklasse übernehmen: eine Gesamtschule von der 1. bis zur 6. Klasse – mit 56 Kindern!

Noch vor Amtsantritt, beim Erstellen eines Stundenplanes, fühlte er sich überfordert. Er rief seinen Methodiklehrer Paul Scholl im Lehrerseminar an und suchte ihn wenig später in Solothurn auf. Fischer erinnert sich an die Begegnung, als wäre sie gestern gewesen. «Was du jetzt machen musst», eröffnete der Mentor seinem verdutzten Schüler, «vergiss alles, was du im Seminar gelernt hast.» Scholl zimmerte für Fischer kurzerhand einen Stunden- und Stoffplan – und der funktionierte in der Folge tadellos. Fischer fand sich in Eppenberg rasch zurecht und wurde gut aufgenommen.

Er wäre der dortigen Primarschule gerne treu geblieben. Sein Vater aber sah in seinem Sohn einen Bezirksschullehrer. Nach drei Jahren in Eppenberg zog der Junglehrer weiter nach Zürich und machte ein Bezirkslehrerstudium mit Zusatzausbildung in Archivistik. «Mein Vater verfocht die fixe Idee, ich müsse ihm in Olten als Stadtarchivar nachfolgen.» Fischer gehorchte. «Der Vater war eine absolute Autorität. Was er sagte, galt.» Fischer Junior wäre eigentlich lieber Naturwissenschaftler geworden. «Aber mein Vater nahm mich schon als Zwölfjährigen mit ins Archiv und lehrte mich alte Schriften lesen und Mittelhochdeutsch verstehen.»

Fischer Senior, Bezirkslehrer und Volkskundler, leitete das Oltner Stadtarchiv nebenamtlich von 1946 bis 1970. In den letzten zehn Jahren wurde er von seinem Sohn als Hilfskraft tatkräftig unterstützt – und ab 1971 trat Martin Eduard Fischer dann wie gewünscht in die Fussstapfen seines Vaters. Die Interessen waren nicht deckungsgleich. «Mein Vater war ein Personengeschichtler, mich interessierte die Entwicklungsgeschichte der Stadt.»

Ein Faible für Entwicklungsgeschichte

32 Jahre lang, von 1971 bis 2003, kümmerte sich Martin Eduard Fischer fortan ums städtische Archiv. Freilich in einem bescheidenen Nebenpensum. Hauptberuflich arbeitete er bis 2001 als Bezirkslehrer. Seit Beendigung seines Studiums unterrichtete er an der Oberstufe in Hägendorf. Seinem Faible für Entwicklungsgeschichte nachleben konnte er auch als erster Präsident der kantonalen Denkmalpflegekommission und der Altstadtkommission. Auch diese Ämter versah Fischer während Jahrzehnten. «In dieser Zeit änderte sich die gesamte Doktrin der Denkmalpflege völlig.» Es wurden wissenschaftliche Grundlagen erarbeitet, die Sensibilitäten deutlich erhöht, zum ersten Mal überhaupt ein denkmalpflegerisches Konzept erstellt. Er schuf sich in diesen Ämtern bei Bauherrschaften beileibe nicht nur Freunde. Mit einem Schmunzeln sagt er: «Als junger Mann war ich ein ‹Böser›.»

Als Stadtarchivar forcierte Fischer den Ausbau des Archivs. Ursprünglich aus einem einzigen Zimmer bestehend, konnte er Ende 2002 seinem Nachfolger Peter Heim ein stattliches Archiv auf dem Gelände des Werkhofes übergeben. Vorausgegangen waren zahlreiche Entwicklungsschritte. «Ich habe das Archiv fünfmal gezügelt, dreimal unter dem Vater, zweimal unter meiner Leitung.» Auch öffnete Fischer das Archiv für Publikumsverkehr.

Der erste Beamte mit einem Computer

Neuerungen hat sich Fischer nie verschlossen. Stolz erzählt er, dass er 1986 der erste Beamte der Stadt Olten gewesen sei, der einen – notabene privaten – Computer in seinem Büro genutzt habe. «Ich fand, dieses System biete enorme Möglichkeiten, um Dateien anzulegen.»

Da die damalige Speicherungsform inkompatibel ist mit der heutigen, ist Martin Eduard Fischer informeller Mitarbeiter des Oltner Stadtarchivs geblieben. Die derzeitige Stadtarchivarin Franziska Morach wendet sich nicht selten mit konkreten Anfragen an ihn. Sein Know-how ist gefragt, weil er noch immer bestens weiss, wo manches abgelegt ist. Er sei derzeit jedoch daran, alle seine Dateien so aufzubereiten, «dass sie im Archiv gebraucht werden können». So verbringt Fischer bis heute viel Zeit am Computer. Aber eben: Da wären auch noch die «auswärtigen Termine». Hin und wieder hält er Referate, bildet Stadtführer aus, arbeitet mit am neuen Oltner Kulturkonzept, singt im Kammerchor Buchsgau im Gäu mit. Oder trinkt im «Schreiber» einen Kaffee.

 

kurz und knapp

Dieses Buch kann ich wärmstens empfehlen

Alle meine Bücher (lacht). Es gibt ja das Sprichwort: Wer nicht weiss, woher er kommt, weiss nicht, wohin er geht. Das ist meine Maxime.

Auf diesen Gegenstand kann ich nicht verzichten

Im Moment ist das mein Gehstock. Ich brauche drei Beine, um normal stehen zu können.

An diesem Ort gefällt es mir ausgezeichnet

Ich bin sehr gerne in der Natur. Die Umgebung von Olten schätze ich sehr. Diese Region gibt mir sehr viel.

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