Der Marroni-Verkäufer

Yousef Bitar verkauft in Olten seit 10 Jahren im Winter Marroni und im Sommer Glace. Im Interview erzählt der 68-Jährige, weshalb er keineswegs von einer Million träumt.

Yousef Bitar verkauft seit zehn Jahren Marroni und Glace. jpi)
Yousef Bitar verkauft seit zehn Jahren Marroni und Glace. jpi)

Der Stadtanzeiger Olten porträtiert in der neuen Reihe «Im Gespräch» Menschen aus der Region. Als erster wird der Marroni-Verkäufer auf der linken Aareseite vor der alten Holzbrücke porträtiert, weil ihn viele Oltner vom Sehen kennen. Doch wer ist der Marroni-Verkäuer eigentlich?

Yousef Bitar wurde am 5. April 1944 in Al-Malkiyye geboren. Sein Heimatdorf liegt im äussersten Nordosten von Syrien in der Provinz Al-Hasaka. In Syrien war Bitar als Bauer tätig. Seine Familie baute unter anderem Wassermelonen an. Am 12. Oktober 1986 flüchtete Bitar mit seiner Frau und seinen sechs Kindern aus politischen Gründen in die Schweiz. «Wir konnten nicht in Syrien bleiben.» Bitar liess sein dreistöckiges Haus, ein Auto, einen Traktor und sein Stück Land in Syrien zurück. Er sei sehr dankbar und danke dem Staat, dem Kanton, der Stadt Olten sowie Gott, dass er in der Schweiz gut aufgenommen wurde. «Ich liebe den Frieden», sagt der sechsfache Vater.

«Ich arbeite sehr gerne»

Als er in Olten wohnte, arbeitete der 68-Jährige zuerst in einer Fabrik. Nach einigen Jahren konnte er aus gesundheitlichen Gründen seiner Arbeit nicht mehr nachgehen. Danach habe er keine andere Arbeitsstelle gefunden. Dies war eine harte Zeit: «Ich kann nicht zu Hause sitzen und nichts tun. Dies macht mich nervös. Ich arbeite sehr gerne.» Deshalb entschied er sich, vor rund zehn Jahren, sich selbstständig zu machen und Marroni und Glace zu verkaufen. Mit Erfolg, das Geschäft lief gut.

Bitar entschuldigt sich und verkauft einer Familie 250g Marroni, den zwei Kindern schenkt er noch je ein Marroni dazu: «Achtung, ist heiss.» Seit zwei, drei Jahren laufe das Geschäft nicht immer gut, aber auch nicht immer schlecht. Die Laufkundschaft habe extrem abgenommen. Bitar denkt, dass es vielleicht daran liege, dass es zu wenig Parkplätze habe und die Leute lieber in den Säli- oder Gäupark einkaufen gehen. Dies findet er sehr schade, denn Olten sei doch eine Stadt und kein Dorf. Er hoffe, dass die Stadt eine Lösung finde und Olten wieder eine belebtere Stadt werde. Seinen Stand in eine andere Stadt zu verlegen – nein, dies habe er sich nie überlegt, ihm gefalle es in Olten sehr gut. Er liebe die Menschen hier und seine Freunde, die regelmässig am Stand vorbeikommen. In Grossstädten wie Zürich fühle er sich nicht wohl.

«Meine Familie bedeutet mir alles»

Seinen Job als Marroni- und Glace-Verkäufer liebt der 68-Jährige. Solange er fit sei und arbeiten könne, solange will er seinen Stand weiterführen. Vielleicht werde er in diesem Jahr, vielleicht im nächsten in den Ruhestand treten. Doch bis jetzt habe er – dank Gott – kaum gesundheitliche Probleme, so der achtfache Grossvater. Die Familie bedeutet Yousef Bitar sehr viel. «Unser Familienzusammenhalt ist gross. Wir reden oft miteinander und der Umgang ist friedlich», so Bitar. Am 5. Januar wurde sein achtes Grosskind in der Kirche beim Klosterplatz getauft, danach wurde in Rothrist gefeiert. Bitars Sohn gab seinem Kind den Namen seines Grossvaters: Yousef Bitar.

Bitar springt erneut auf und läuft davon. Er hilft einer älteren Frau, die Wohnungstür zu öffnen. Ob er anderen Menschen gerne helfe? «Ja, ich helfe gerne.» Dies sei schon als Kind so gewesen. Eine kleine Anekdote: Bitar erntete in Syrien Wassermelonen und transportierte diese auf einem kleinen Lastwagen, dieser kippte in einer Kurve. Rund 30 Kinder waren zur Stelle und halfen ihm die Ernte wieder aufzuladen. Er fragte jedes Kind: «Wie viele Personen wohnen bei dir zu Hause?» Und verschenkte je nach Anzahl Familienmitglieder Melonen als Dankeschön. Seine Mutter hatte für dies kein Verständnis und fragte: «Wieso hast du das getan?» doch für Bitar war klar, die Melonen sind ein Geschenk Gottes, wieso sollte ich alles für mich behalten. Auch die Gesundheit sei ein Geschenk Gottes, deshalb verstehe er nicht, weshalb manche Leute sich mit Drogen selber schaden.

Träume? Habe er keine, er wünsche sich Gesundheit für die ganze Familie. Er träume nicht von einer Million, danach wolle man nur mehr und mehr. Schön wäre es, wenn es keinen Krieg mehr geben würde und die Leute sehen könnten, dass das Leben schön ist. Doch an dies glaube er nicht mehr. In Syrien werde es nicht besser, sondern schlimmer. Auch in hundert Jahren werde es keine Demokratie geben. Nein, er glaube nicht, dass es mit dem Sturz Baschar al-Assad besser werde. Er verfolge die Entwicklungen in den arabischen Ländern im Fernsehen, doch was hat der arabische Frühling den Leuten gebracht? Noch weniger zu Essen, noch weniger Arbeit, noch mehr Schwierigkeiten und noch mehr Leid.

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