Die boxende Lehrerin

Im Gespräch Seit gerade mal zwei Jahren boxt Céline Brügger wettkampfmässig – und darf sich schon Schweizer Meisterin nennen. Sie ist ehrgeizig und trainingsfleissig, doch mehr als ein Hobby ist das Boxen nicht. Ihr Geld verdient sie als Primarlehrerin.

Die Boxhandschuhe und den Schweizer-Meister-Gurt trägt Céline Brügger beim Unterrichten ihrer Zweitklässler normalerweise nicht. (Bild: Achim Günter)

Dem vermeintlichen Klischee entspricht sie nicht. Eher schlank und zierlich wirkt sie. Besonders muskulös scheint sie nicht zu sein. Schrammen sind keine sichtbar. Und wenn sie so in ihrem Schulzimmer in Hägendorf sitzt und ruhig und sachlich erzählt, käme man wahrlich nicht auf die Idee, doch es ist so: Diese junge Frau ist Boxerin. Momentan sogar die beste der Schweiz in ihrer Gewichtsklasse. Ende November wurde Céline Brügger in Payerne Schweizer Meisterin in der Kategorie Fliegengewicht. In dieser treten Boxerinnen mit 51 oder 52 Kilogramm Körpergewicht an.

Der Erfolg ist umso bemerkenswerter, als dass die 25-Jährige erst die zweite Saison überhaupt Wettkämpfe bestreitet. Mit dem klassischen Boxen angefangen hat sie vor drei Jahren. Kampfsporterfahrung hingegen besitzt sie schon länger. Brügger, aufgewachsen in Lostorf und nun in Obergösgen wohnhaft, war ein eher wildes, temperamentvolles Kind. Ab 14 Jahren kanalisierte sie ihre Energie einige Jahre lang beim Kickboxtraining. Von gewissen technischen Grundfertigkeiten kann sie nun beim klassischen Boxen profitieren.

Ihre Mutter, erzählt Céline Brügger, habe es damals «schon nicht so cool gefunden», als sie mit dem Kickboxen angefangen habe. Beim Boxen erleide sie nun zwar weniger Verletzungen als einst. «Aber für eine Mutter ist das schon nicht einfach: Da zieht sie ein Kind gross, und dann steigt dieses in den Ring, um sich zu prügeln», meint die Schweizer Meisterin mit einem Schmunzeln. «Mittlerweile ist die Mutter jedoch ein grosser Fan. Überhaupt erkennt und anerkennt die Familie, wie viel ich investiere. Alle haben sich enorm mit mir gefreut über den SM-Titel.»

Teamsportarten, sagt sie, waren nie ihre Sache. «Aber für mich ganz alleine was zu machen, zum Beispiel Fitness, das kam auch nicht in Frage.» Eingebettet sein in einem Verein, gemeinsam trainieren, letztlich aber alleine den Wettkampf bestreiten – so passt das für sie.

Am Wochenende gehts nach Portugal

Brügger ist Mitglied beim Oltner Verein Classic Boxing. In dessen Boxkeller ist sie beinahe täglich anzutreffen. Einen Tag pro Woche gönnt sie sich eine Pause, ansonsten trainiert sie im Boxkeller oder zumindest konditionelle Grundlagen. Und an rund zehn Wochenenden im Jahr tritt sie an Wettkämpfen an, oft verbunden mit Reisen in ferne Destinationen. 2022 bestritt sie bereits zehn Wettkämpfe – und konnte sich im Spätherbst bei ihrer ersten SM-Teilnahme gleich über die Vizeschweizermeisterschaft freuen. 2023 wird sie bis Saisonende 13 Wettkämpfe absolviert haben. Der letzte folgt an diesem Wochenende, ein internationales Turnier in Portugal.

Dass sie dereinst sogar Ambitionen in Richtung Olympische Spiele hegen könnte, mag sie momentan zumindest nicht ausschliessen. Aber für eine Sportkarriere müsse man halt schon auf vieles verzichten. Bei der Ernährung, bei der Freizeitgestaltung, beim Pflegen von Beziehungen etwa. Allzu schwer falle ihr dieser Verzicht zwar nicht. Allerdings freut sie sich nun schon auf die kommende boxfreie Zeit, ehe dann Anfang Jahr die Schufterei wieder von vorne losgeht.

Steigerungspotenzial ortet sie noch in fast jedem Bereich. Sowohl mental als auch technisch lasse sich noch manches verbessern. «Man kann immer an allem arbeiten und weiter perfektionieren.» Ohnehin sei Boxen ein sehr gesamtheitlicher Sport, in dem alle Elemente ineinandergreifen müssten, um erfolgreich zu sein. «Das Gesamtpaket muss stimmen.»

Céline Brügger unterrichtet seit vier Jahren in Hägendorf als Klassenlehrerin. Derzeit hat sie eine 2. Klasse. «Super» sei diese, lobt sie, und «leider» müsse sie ihre Schützlinge im nächsten Sommer in andere Hände weiterreichen. Ihre Schülerinnen und Schüler wissen, dass ihre Lehrerin in ihrer Freizeit boxt. Ein Nachteil, gibt sie zu verstehen, sei das zumindest nicht. Für sie selbst stellt das abendliche Boxtraining ein idealer Ausgleich zum Berufsalltag dar. Im Schulzimmer werde sie hauptsächlich geistig gefordert, im Boxkeller dann körperlich.

«Lasse mich nicht so schnell stressen»

Mit 21 Jahren schloss sie ihre Ausbildung ab. Ermüdungserscheinungen als Lehrerin kennt sie bis anhin nicht. Auch wenn das Unterrichten gerade in der heutigen Zeit alles andere als ein Zuckerschlecken ist. Sie vermutet, dass ihr die generell eher lockere Einstellung entgegenkommt. «Ich lasse mich nicht so schnell stressen. Ich glaube, das hilft mir im Job – und auch beim Boxen.» Die grösste Herausforderung für sie als Lehrerin sei, «jedem Kind gerecht zu werden und jedem Kind genug Zeit zu widmen».

Das Lehrerinnendasein bereitet ihr so viel Freude, dass eine Abkehr davon derzeit überhaupt kein Thema ist. Allerdings verfolgt sie tief im Hinterkopf einen «Traum», der in ferner Zukunft tatsächlich aufs Tapet kommen könnte: das Zusammenführen von Schule geben und Boxen. Sie kann sich vorstellen, Boxcamps zu leiten. Sie selbst nahm mal an einem solchen in Spanien teil. Seither lässt sie dieser Gedanke nicht mehr los. Aber eben, bei diesen Gedankenspielen handelt es sich momentan um genau das: um Gedankenspiele. Die Realität heisst Primarlehrerin und Boxerin. Und dabei soll es vorerst auch bleiben.

 

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