Ein letztes Mal «Paris je t’aime»

Post aus Paris - Der Saxofonist Simon Spiess ist letzte Woche nach Hause zurückgekehrt und hat vor seiner Abreise unsere Fragen zu seiner Zeit in Paris und seinen musikalischen Projekten beantwortet.

Kunstvolle Bilder aus dem persönlichen Album von Simon Spiess.

Kunstvolle Bilder aus dem persönlichen Album von Simon Spiess.

Letztes Jahr wurde der in Aarburg aufgewachsene Saxofonist Simon Spiess vom Aargauer Kuratorium mit einem halbjährigen Atelieraufenthalt in Paris unterstützt. Seit Januar schreibt der Musiker unter der Rubrik «Post aus Paris» monatlich aus der französischen Hauptstadt. Vor zwei Wochen endete die Zeit in Paris und der Stadtanzeiger hat nachgefragt, wie denn nun die Pariser wirklich sind, wie er sich musikalisch entwickelt hat und welche Projekte anstehen.

Nach rund sechs Monaten hat letzte Woche dein Atelieraufenthalt in Paris geendet. Was wirst du am meisten vermissen?

Paris ist für mich ein Ort der Inspiration, der Arbeit und dem stetigen Fokus auf das Üben und Komponieren, denn ich hatte ein halbes Jahr «Zeit», um mich vor allem darauf zu konzentrieren. Ich werde diese Zeit und Ruhe vermissen, aber auch das musikalische Umfeld, die Clubs und Bars, in denen ich oft gespielt und die schönen Orte und Gassen, die mich fasziniert haben.

Welche schönen, aber auch negativen Seiten des Pariser Alltages hast du erlebt?

Nach einem halben Jahr ist das Leben in einer Grossstadt nicht mehr so stark von einem Leben in einer kleineren Stadt zu unterscheiden. Man geht oft zum gleichen Supermarkt und zur selben Bäckerei. So nerven einen auch hier Dinge, wie lange Bedienungs-Wartezeiten in Bars und Restaurants. Es gab aber wenig Negatives, umso mehr Positives. In Paris ist es erstaunlich, dass sich Quartiere äusserlich nach zwanzig Metern völlig verändern können. So geht man zwanzig Meter und hat den Eindruck, als ob man in einem anderen Land angekommen ist. Das finde ich absolut faszinierend. Da ich oft alleine war, hatte ich Zeit, um mich der Selbstreflexion zu widmen. So gab es immer wieder Phasen, in welchen ich menschlich sowie musikalisch hart an mir arbeiten musste, was anstrengend aber auch positiv war.

War es schwierig in Paris Menschen kennenzulernen?

Zu Beginn fiel es mir schwer. Aber nach einer Weile, wenn Personen realisierten, dass sie mich immer wieder sehen, haben sie mich angesprochen oder ich sie. Mir ist aufgefallen, wenn man es nicht sonderlich sucht, findet man schneller Kontakt. Dies können kurze, auch lustige Kontakte sein oder intensive, aus welchen Freundschaften entstanden sind. Ich war jedoch oft alleine und zu Hause am Arbeiten in meinem Kämmerlein. Den meisten Kontakt zu Menschen erlebte ich in Jazz-Clubs, an Konzerten oder Jams.

Kannst du von besonderenBekanntschaften erzählen?

Antonino Pino, ein in Paris lebender Gitarrist aus Lausanne, wurde mir gleich zu Beginn vorgestellt. Seither spielten wir regelmässig zusammen und trafen uns abends, um etwas trinken zu gehen. Wir verstehen uns sehr gut, vielleicht auch darum, weil wir einen ähnlichen Weg beschreiten und gleiche Interessen und Ziele verfolgen. Er ist ein guter Freund geworden. Dann gibt es kleine Bekanntschaften, die durch das regelmässige Zusammentreffen entstehen. Beispielsweise zum Team von «Les Etages», einer kleinen Bar in Marais, habe ich eine gute Beziehung aufgebaut oder zu einigen Kellnern in anderen Bars, die meinen Namen rufen, wenn ich an ihnen vorbeigehe. Oder Personen, die ebenfalls in der Cité des Arts wohnten, mit welchen ich schöne Erlebnisse hatte.

Kannst du von einem besonderen Moment in Paris erzählen?

Da gab es sehr viele. Ich könnte ein Buch darüber schreiben. Ich hatte viele intensive Momente mit der Musik, die sehr positiv und wegweisend für mich waren. Ich fühle mich heute meiner Musik viel näher. Zudem gab es viele lustige Momente auf der Strasse. Denn in Paris Leute zu beobachten und zu studieren ist jeden Tag ein grosses Abenteuer. Glücklicherweise machte ich kaum traurige oder negative Erfahrungen, da ich stets versuche positiv zu sein. Ab und an vermisste ich Freundin, Familie oder Freunde, aber daran versuchte ich mich, schnell zu gewöhnen. Es gab jedoch sehr intensive Momente, in denen ich realisierte, wie schön das Leben als Musiker ist. Wenn ich beispielsweise über die Pont Neuf spazierte, umgeben von der Stadt oder ich auf der Bühne stand, inmitten unglaublicher Musiker.

Wie würdest du die Pariser be-schreiben?

In Paris leben so viele verschiedene Menschen, dass es schwierig ist «den Pariser» zu beschreiben. Die Menschen sind im ersten Moment distanziert. Doch etwas Geduld ist nötig und sie kommen von alleine auf einen zu. Zudem erlebte ich die Menschen als selbstbewusst, motiviert, sie pflegen einen guten Kleidungsstil, sind international orientiert, freundlich, zuvorkommend und herzlich.

Kannst du unseren Lesern Lokalitäten mit spezieller Atmosphäre empfehlen?

Es gibt eine spezielle Bar in Marais namens «Les Etages», welche toll ist, um am Abend ein Glas Rotwein zu geniessen. «La Favorite» ist ein Café neben der Metro Saint-Paul, welches den besten Kaffee in Marais serviert und nebenbei über Wi-Fi verfügt, was in Paris sehr rar ist. Auf jeden Fall ist die Rue des Lombards mit all ihren Jazz-Clubs zu empfehlen und «Saxmachine» ist das beste Saxophon-Atelier in Paris.

Du hast im Quartier Marais gewohnt. Kannst du das Quartier kurzbeschreiben?

Marais bietet viele schöne Strassencafés und Bars, gute Restaurants oder sehr leckere Imbissbuden. Schöne, alte Häuser säumen die vielen charmanten Gässchen und das Quartier hält kleine grüne Oasen bereit. In Marais sind viele jüdische Schulen und Restaurants zu finden. Zudem treffen sich viele Künstler dort, die jedoch nicht dort wohnen, da es zu teuer ist. Viele Lesben und Schwule wohnen im Quartier und geniessen den Ausgang. Daneben drehen viele Freaks ihre täglichen Runden durch die Strassen. Marais bietet auch spannende Kleider- und Buchläden, die jedoch eher teuer sind.

In welchen Quartieren/Bezirken hast du dich am meisten aufgehalten?

In Marais, da ich dort gewohnt habe. In Montmartre, weil ich diese Umgebung sehr interessant fand und es dort alle wichtigen Saxophon- und Musikläden gibt und auf den Inseln der Seine, wo ich oft Spaziergänge gemacht habe. Zudem hielt ich mich gerne in der Rue des Lombards auf, da es dort viele Jazzclubs und schöne Bars hat.

Inwiefern hat dich Paris musikalisch beeinflusst?

Paris hat mich nicht unbedingt beeinflusst, eher motiviert meinen Weg als Jazzmusiker zu gehen und besser zu werden, da die Jazzszene hier so gross und omnipräsent ist. In Olten oder anderen Städten in der Schweiz wird man komisch angeschaut, wenn man sagt, dass man Jazzmusiker ist oder sogar bemitleidet oder nicht verstanden. Dies ist in Paris absolut anders. Man kann hier auf diese Welle steigen und ganz natürlich in diesem grossen Meer von Jazzclubs und Sessions abtauchen oder sich einfach mittragen lassen.

Wie würdest du die Pariser Musik-szene/Jazzszene beschreiben?

Die Instrumentalisten sind technisch sehr gut und international spitze. Es gibt viele Clubs, die ausschliesslich traditionellen Jazz spielen und jeden Abend volles Haus haben. Die meisten Musiker tragen einen Rucksack voller traditioneller Musik mit sich und spielen aber auch Neues, inspiriert von afrikanischen Traditionen, Groove-Musik, Chanson etc. Die Musiker sind sehr motiviert und üben viel und bereiten sich auf jedes Konzert sehr intensiv vor, um mithalten zu können. Es ist oft ein «Ellbögele» auf den Bühnen an Jamsessions und ein freundlicher Machtkampf zwischen den gleichen Instrumentalisten. Es ist eine grosse Familie, die man schnell kennt.

Haben es Musiker in Paris einfacher oder schwerer als in der Schweiz?

Pariser Musiker haben es auf derfinanziellen Seite noch schwerer als Schweizer Musiker. Der Vorteil ist jedoch, dass es eine viel grössere Szene gibt als in der Schweiz. Das bedeutet, man ist umgeben von sehr guten Musikern und ist daher gezwungen, alles zu geben, um mithalten und Konzerte spielen zu können. In einer Stadt wie Olten ist man schnell bekannt und erhält Gelegenheiten zum Spielen. In Paris ist es wirklich hart: Die Musiker müssen neben dem musikalischen viel mehr organisieren und Kontakte knüpfen, um Auftritte bestreiten zu können.

Wie haben sich Formationen gebildet, in denen du gespielt hast?

Wenn man Musiker kennenlernt und mit ihnen an Jams gespielt hat, dann wird man zu privaten Jams in Bandräume und Wohnzimmer der Musiker eingeladen. Ich konnte so viele Sessions spielen und habe dadurch immer mehr Leute kennen gelernt.

Hast du stets in denselben Bars/Clubs gespielt?

Ich habe in verschiedensten Bars gespielt, aber zum Beispiel auch steady Gigs in zwei Bars mit dem Antonino Pino Quartet. Wir sind zum Beispiel im «Le petit Moulin» vier Mal in einem Monat aufgetreten. Es gibt viele kleine Bars, die einer Band ermöglichen, dort regelmässig zu spielen. Viele Bands haben auch die Möglichkeit Jamsessions zu eröffnen.

Wirst du auch nach deiner Rückkehr in die Schweiz weiterhin einer «Pariser-Formation» angehören?

Ja, ich werde weiterhin mit dem Antonino Pino Quartett spielen. In Paris wie auch in der Schweiz.

Nun nach sechs Monaten in Paris - was hat dir der Atelieraufenthalt menschlich und musikalisch ermöglicht? Wie hast du dich entwickelt?

Ich bin technisch sicher viel besser und dadurch auch ruhiger geworden, da ich mich entspannter fühle. Ich habe an mir menschlich viel gearbeitet, was sicherlich auch meine Musik beeinflusst hat. Zudem bin ich viel disziplinierter und verfolge geradlinig meine Ziele, welche ich heute klarer vor Augen habe. Paris war somit eine Bestärkung für meinen Lebensweg.

Was hättest du noch gerne in Paris gemacht oder was sind Wünsche, die du dir in Paris noch nicht erfüllen konntest?

Ich habe kein Geld auf der Strassegefunden, um mir eine Wohnung in Paris kaufen zu können. Sonst haben sich alle Ziele und Wünsche wie Visionen im letzten Halbjahr erfüllt.

Wie geht es für dich musikalischweiter?

Ich werde weiterhin mit meinem Trio in neuer Formation auftreten und es weiterentwickeln. Ich werde beginnen an neuen Projekten zu arbeiten und wieder ein wenig Fuss in der Schweizer Szene zu fassen. Zudem möchte ich mein Übungspensum wie in Paris weiterführen, versuchen mich stetig zu verbessern und Neues zu erlernen. Ich möchte auch viele Konzerte spielen, was durch die monatige Tour im Juli durch Russland vorerst möglich ist.

Was sind Projekte , welche du noch gerne realisieren möchtest?

Da gibt es ganz viele. Ich versuche jedoch, die für mich zum Zeitpunkt Wichtigsten, möglichst bald umzusetzen. Dabei handelt es sich um kurze wie auch langjährige Projekte. Ich möchte beispielsweise in die Deutsche Szene eintauchen, da ich meinen Zweitwohnsitz in Deutschland haben werde, und versuchen international zu denken und zu agieren, obwohl meine Wurzeln und mein Ausgangspunkt in der Schweiz und Deutschland sind. Ich möchte für grössere Projekte komponieren und neue Techniken dafür erlernen. Mein Hauptfokus liegt jedoch nach wie vor auf der Bühne. Abschliessend möchte ich mich noch bedanken, denn ich fühle mich nach diesem halben Jahr Paris unglaublich bereichert. Das war nur möglich durch die unglaubliche Unterstützung des Aargauer Kuratoriums, welches mich mit dem Atelieraufenthalt in Paris gefördert hat. Herzlichen Dank. Dazu möchte ich meiner Freundin und meiner Familie danken, die mich stets unterstützt haben und immer für mich da sind.

Weitere Artikel zu «Im Fokus», die sie interessieren könnten

Im Fokus28.02.2024

Gefrässig und vermehrungsfreudig

Asiatische Hornisse Die Verbreitung der Asiatischen Hornisse bedroht einheimische Bienenvölker. Die Bevölkerung ist dazu aufgerufen, Sichtungen zu…
Im Fokus28.02.2024

Wirz-Burri – Kolonialwaren und Delikatessen am Bifangplatz

Briefgeschichten Am Bifangplatz befand sich vor rund hundert Jahren an prominenter Lage der Laden zum «Bifanghof» von Paul Wirz-Burri. Die…
Im Fokus28.02.2024

«Unsere Lieder sind Medizin für unsere Herzen»

Olten Der Gedenkanlass «Zwei Jahre Krieg in der Ukraine» in der Stadtkirche wurde von weit über 200 Personen besucht.