«Vieles wäre heute unvorstellbar»

Lotti Bichsel führte über ein Vierteljahrhundert zahlreiche Jugendliche an der Oltner heilpädagogischen Sonderschule in die Lehre der Hauswirtschaft ein. Ihr Handwerk hat sie sich international angeeignet.

Lotti Bichsel auf ihrem Balkon am Rande des Säliwaldes: «Dieses Jahr sind die Rosen besonders schön.» vwe)
Lotti Bichsel auf ihrem Balkon am Rande des Säliwaldes: «Dieses Jahr sind die Rosen besonders schön.» vwe)

Es sei immer faszinierend gewesen, was für Potenzial in geistig beeinträchtigten Kindern und Jugendlichen steckt, blickt Hauswirtschaftslehrerin Lotti Bichsel heute mit 77 Jahren zurück. «Unsere Schützlinge auf die Selbstständigkeit vorzubereiten und ihnen Schritt für Schritt hauswirtschaftliche Vorgänge beizubringen, war für mich immer ein enormer Ansporn in der jahrelangen Tätigkeit.» Viele hatten nach ihrer Schulzeit an der heilpädagogischen Sonderschule in Olten die Möglichkeit eine Lehre bspw. in der VEBO in Oensingen oder im Theresienhaus in Solothurn zu absolvieren und so ihren Unterhalt selber zu verdienen.

Nach der Töchterschule ins Welsche

Aufgewachsen in Zofingen besuchte Lotti Bichsel vor ihrer Ausbildung zur Hauswirtschaftslehrerin die Töchterschule, welche mit der heutigen Fachmittelschule zu vergleichen ist. «Für das Hauswirtschaftsseminar war ein halbjähriges Praktikum nötig, dass ich wie viele andere Mädchen im Welschen bei einer Familie absolvieren wollte.» Doch bereits nach einem Monat merkte die Zofingerin, dass ihre Madame weniger an ihrer Ausbildung als mehr an einer billigen Haushaltskraft interessiert war. Diese Erfahrung musste sie zwei Jahre später auch während eines dreimonatigen Aufenthalts in Paris machen. «Als Au-pair wurde man damals vielfach ausgenutzt und ich hatte praktisch keine Zeit Französisch zu lernen geschweige denn den geplanten Sprachunterricht der «Alliance français» zu besuchen.» Zum Glück wusste sich Lotti Bichsel in solchen Situationen stets zu helfen und wechselte sowohl während ihres Praktikums als auch Sprachaufenthaltes kurzerhand die Stelle bzw. zog in ein Studentenheim.

«Wäsche wurde im Brunnen gereinigt»

Unter solchen Erfahrungen litt ihre Auslandslust jedoch keineswegs. «Nach einigen kurzen Arbeitseinsätzen an Haushaltungsschule unter anderem auf dem Hasliberg (BE) oder im bernischen Kehrsatz zog es mich nach Italien», erinnert sie sich. In einem Ferienheim der Waldenser, einer protestantischen Kirchengemeinschaft, die ursprünglich aus dem Piemont (FR) kommt, war die damals 26-Jährige für jegliche hauswirtschaftlichen Tätigkeiten zuständig. «Das Ferienheim wurde von einem italienischen Pfarrerehepaar geführt. Viele Angestellte sprachen jedoch Französisch oder teilweise auch Romanisch. Dazu kamen die Feriengäste, die auch aus dem englischen Raum anreisten. Es herrschte stets ein riesiges Sprachenwirrwarr», erinnert sich Bichsel lachend. Auch die Arbeitsumstände seien nicht die Modernsten gewesen. «Unsere Kleidung wuschen wir im Brunnen vor dem Heim. So war man während der Hausreinigung stets bedacht, keine unnötigen Flecken zu verursachen.» Teilweise habe sie die Treppe oder Gänge kurzerhand ohne Jupe gefegt, um sich die anschliessende Wascherei zu ersparen. «Das wäre heute unvorstellbar», lacht sie. Diese Umstände kamen jedoch auch davon, dass die Waldenser nur minimale finanzielle Mittel zur Verfügung hatten.

Berufung in Olten gefunden

Zurück in der Schweiz entschied sich Bichsel für eine Spezialisierung im heilpädagogischen Bereich und sammelte wiederum praktische Erfahrungen im Ausland. «In Berlin fand ich eine Anstellung als Betreuerin in einem Heim für körperlich behinderte Menschen. Jedoch wurden die Jugendliche meiner Meinung nach zu wenig intensiv beschäftigt. Eine solche Heimphilosophie wäre heute unvorstellbar und für mich schon damals unvertretbar.» Kurzerhand bewarb sie sich für die Anstellung an der Sonderschule in Olten und fand darin ihre Berufung. «Neben dem Hauswirtschaftlichen durfte ich an der HPS auch meine Leidenschaft für jegliche Arten von Handarbeit mit den Schülern teilen.» So kochte und wusch sie mit ihren bis zu sechs Schützlingen pro Klasse nach eigens aufgemalten und geschriebenen Rezepten, nähte jedoch mit ihnen auch Jupe für Schulfeste oder gestaltete kreative Dekorationsgegenstände. «Bis heute und auch nach meiner Pensionierung 1998 besuche ich die Schulanlässe immer gerne.» Auch sonst betätigt sich Bichsel stets aktiv für ihr Umfeld. «Bis zum Tod meiner Mutter 2003 habe ich mich intensiv um sie gekümmert. Heute bin ich als Fahrerin für das rote Kreuz tätig oder engagiere mich seit Jahren an einem Mittagstisch in Zofingen.» Die Freude am Helfen und Gestalten wird Lotti Bichsel wohl auch in Zukunft antreiben.

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