Vom Nähmaschinenladen zum Fahrradgrosshandel

Briefgeschichten Die Fabrikation von Zweirädern der Marken «Moor» und «Oltenia» nahm in Olten ihren Anfang. Wie praktisch alle grossen Fahrradhersteller verkaufte und wartete die Oltner Firma Walter Moor-Stampfli zuerst Nähmaschinen, bevor sie ihr Knowhow für die immer beliebteren Velos einsetzte.

Blick in die Velowerkstatt: Der Firmengründer Walter Moor arbeitet vorne am Fenster, er schleift den Hinterbau eines Fahrradrahmens. (Bilder: ZVG Rolf Moor, Däniken)

Blick in die Velowerkstatt: Der Firmengründer Walter Moor arbeitet vorne am Fenster, er schleift den Hinterbau eines Fahrradrahmens. (Bilder: ZVG Rolf Moor, Däniken)

Max Moor verleiht einem Herrenfahrrad den letzten Schliff, indem er eine letzte Kontrolle vornimmt und den Garantieschein daran anbindet.

Max Moor verleiht einem Herrenfahrrad den letzten Schliff, indem er eine letzte Kontrolle vornimmt und den Garantieschein daran anbindet.

Eine Karte von 1957 mit den drei Fabrikmarken der Velofirma Max Moor.

Eine Karte von 1957 mit den drei Fabrikmarken der Velofirma Max Moor.

Metallplakette des Marken-Fahrrads Moor.

Metallplakette des Marken-Fahrrads Moor.

Die inzwischen abgerissene Häuserzeile an der Bahnhofstrasse 16-10 mit dem Hotel «Gotthard» (ganz links) und dem Haus «Moor Velos» gleich daneben.

Die inzwischen abgerissene Häuserzeile an der Bahnhofstrasse 16-10 mit dem Hotel «Gotthard» (ganz links) und dem Haus «Moor Velos» gleich daneben.

Der kleine Laden von W. Moor, Nähmaschinen & Velos an der Bahnhofstrasse.

Der kleine Laden von W. Moor, Nähmaschinen & Velos an der Bahnhofstrasse.

Die Familie Stampfli & Cie. führte ursprünglich ein Modegeschäft an der Oltner Bahnhofstrasse 12, direkt neben dem Hotel Gotthard. Das war damals eine hervorragende Geschäftslage. Die Bahnhofstrasse führte von der Aarburgerstrasse über den Bahnübergang direkt zur Aarauerstrasse und war die Hauptverkehrsader Richtung südliches Niederamt und Aarau. 1899 gab Agnes Stampfli den Handel mit Weisswaren, Lingerie und Mercerie auf. Dafür übernahm sie die Vertretung der Räber-Nähmaschinen.

Jakob Räber hatte 1883 in Burgdorf eine Nähmaschinenfirma gegründet. Bald suchte er weitere Absatzgebiete, und wie zahlreiche andere Nähmaschinenfabriken dehnte er sein Geschäftsfeld aus und setzte – vorerst nur zusätzlich – auf den boomenden Veloziped-Handel. Nach und nach gründete er in der Schweiz fünfzehn Filialen, etwa in Vevey, Lausanne, Biel, Zofingen und Olten.

Der Mechaniker und die Filialleiterin

Der junge Nähmaschinenmechaniker Walter Moor aus Vordemwald arbeitete zuerst am Hauptsitz in Burgdorf, bevor er nach Olten wechselte, wo die drei Jahre ältere Agnes Stampfli als Geschäftsführerin die Räber-Zweigniederlassung leitete. Offensichtlich funkte es zwischen den beiden, am 1. Juli 1902 heirateten sie. 1904 machten sie sich selbständig und gründeten die Firma «W. Moor, Velo- und Maschinengeschäft». Von Anfang an war die Firma ein Familienunternehmen, Agnes Moor-Stampfli führte beispielsweise die Buchhaltung. Neben den deutschen Velomarken Triumph, Dürkopp und Baer führte das Ehepaar Moor nebst Nähmaschinen auch Strick- und Wirkmaschinen im Sortiment. Ihre Velo- und Maschinenhandlung war vorerst ein Detailhandelsgeschäft mit angegliederter Reparatur- und Montagewerkstatt. Doch mit der Zeit wollte Walter Moor aus der Enge des Kleinbetriebs hinaus. 1925 stieg er deshalb in den Engroshandel ein und übernahm die Generalvertretung der Triumph-Fahrräder für die Schweiz, bald kam noch die italienische Marke Gloria hinzu. Anfang der dreissiger Jahre begann die Firma, ihre Fahrradmarken «Moor» und «Oltenia» in eigener Regie zu produzieren und nach eigenen Ideen auszurüsten.

Inzwischen wuchs die nächste Generation heran. Das Ehepaar Agnes und Walter Moor-Stampfli hatte zwei Söhne, den 1910 geborenen Max Edwin und den 1916 geborenen Walter Eberhard. Der ältere Sohn Max Moor besuchte zuerst die Handelsschule, schaltete ein Welschlandjahr in Lausanne ein und absolvierte dann eine Lehre in der Metallarbeiterschule, der öffentlichen Lehrwerkstatt der Stadt Winterthur. Anschliessend arbeitete er in deutschen Fabrikbetrieben der Fahrradbranche. Im Sommer 1933 kehrte Max Moor zurück. Sein Vater erteilte ihm nun die Prokura. Ein Jahr später heirateten Max Moor und Hermina Hagenbuch, Metzgertochter aus Trimbach; sie bezogen eine Wohnung zuerst an der Baslerstrasse, dann an der Unterführungsstrasse 29. Im Jahre 1940 übergab Walter Moor die Firma seinem Sohn Max.

Aus der folgenden Epoche ist eine Postkarte von 1957 erhalten geblieben, die sehr hübsch mit den Firmenlogos verziert ist. Neben dem Schriftzug «Moor», dessen zwei O sich gut als Veloräder eignen, sind die von der Firma Max Moor vertriebenen Marken Oltenia, Triumph und Moor dargestellt. Am 4. Februar 1957 schrieb Hermina Moor auf dem Firmenpapier privat an Frau und Fräulein Bloch in Balsthal und bestellte bei ihnen zehn «herzige Zwerge» zum Preis von 70 Rappen pro Stück, um «andern Mitmenschen eine Freude zu machen». Mehr ist aus dem Schreiben nicht zu erfahren.

Umzug nach Däniken

Mit der Zeit wurde es der Firma Moor im Oltner Winkel zu eng. Nachdem Pläne für eine Erweiterung an der Bahnhofstrasse und für einen Neubau in Trimbach gescheitert waren, konnte die Fahrradfirma im November 1970 in das längliche Gebäude der Farbenfabrik Maurolin AG direkt an den Geleisen in Däniken umziehen. Zu den Velos waren inzwischen Mofas der Marken «Moor» und «Rodeo» hinzugekommen. Der 1935 geborene einzige Sohn Rolf Moor führte das Familienunternehmen in der dritten Generation weiter. Nach ihm stand allerdings kein Nachfolger mehr zur Verfügung, der das Geschäft übernehmen wollte. Also wurde die Traditionsfirma mit der Pensionierung von Rolf Moor im Jahre 2000 liquidiert. Das Historische Museum Olten widmete im Sommer 2007 dem Velofahren eine Ausstellung und rief die Oltner Fahrradlabels in Erinnerung. Sogar zwei elegante Exemplare von «Oltenia»-Velos sind dort nach wie vor im Depot gut aufbewahrt.

Quellen: Stadtarchiv Olten. Der Autor dankt Rolf Moor-Hofer in Däniken für die freundlichen Auskünfte.

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