Adventsgeschichten

Daniel Kissling, Kulturschaffender und Barkeeper. (Bild: M. Isler)
Daniel Kissling, Kulturschaffender und Barkeeper. (Bild: M. Isler)

Ich klopfe an die Türe des Zimmers, trete ein. «Grüezi Frau Furrer!», rufe ich extra etwas lauter, während ich den Schutzkittel über meine Zivilschutzuniform streife. «Darf ich Ihnen etwas vorlesen?», frage ich ohne eine Antwort zu erwarten. Frau Furrer sagt nicht mehr viel und was in ihrem Kopf vorgeht, kann ich nur raten. Ich ziehe den Hocker ans Bett der alten Frau, schlage das Adventsbuch aus dem Stationszimmer irgendwo auf und beginne ein russisches Weihnachtsmärchen vorzulesen.

Normalerweise würden die Pflegerinnen die Bewohnerinnen und Bewohner am Nachmittag im «Stübli», dem Gemeinschaftsraum versammeln und dort die Geschichten und Gedichte aus dem Adventsbuch gemeinsam lesen. Normalerweise würden die noch Rüstigeren unter ihnen mit Rollator oder Rollstuhl runter in die Cafeteria und normalerweise würden Angehörige zu Besuch kommen. Stattdessen halte ich eine halbe Stunde später in einem anderen Zimmer ein iPad in die Höhe. «Hallo Muetti», sagt die Tochter von Frau Wyss und als Frau Wyss nach einer Weile Teilnahmslosigkeit doch noch auf den Bildschirm schaut, langsam ihre Hand hebt und winkt, verkneift sich nicht nur ihre Tochter eine Träne.

Frau Stocker wartet derweil ungeduldig aufs OT. Dass die Post erst am Nachmittag aufs Zimmer gebracht wird, passt ihr ebenso wenig wie der Menu-Plan. Wir kommen auf die bevorstehenden Festtage zu sprechen und, dass ich es schon traurig fände, dass meine Grossmutter, die ebenfalls in einem Altersheim wohnt, beim ersten Weihnachten meiner Tochter, ihrem 15. Urgrosskind, nicht dabei sein könne. Kritisch blickt mich Frau Stocker über den Rand ihrer Zeitung an: «Immer noch besser, als wenn es deswegen ihr letztes Weihnachten wäre, nicht? Muss sie halt noch ein Jahr durchhalten.»

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