Der Jungbürger

Irène Dietschi, Journalistin.
Irène Dietschi, Journalistin.

Jetzt sag’ mal ehrlich», fordere ich meinen Gatten auf: «Warum hast du es letztlich doch gemacht?» Er lächelt sein sibyllinisches Lächeln, das ich so gut kenne, und antwortet: «Damit meine Frau endlich Ruhe gibt.»

Das war am vorletzten Sonntagnachmittag, einem Abstimmungssonntag. Kurz zuvor hatten wir im Wahllokal von Hägendorf unsere Stimmen abgegeben. Für meinen Mann war es der erste Urnengang hierzulande. Seit dem 1. April ist er offiziell eingebürgert, «erleichtert», wie das Verfahren heisst. Dies nach über 30 Jahren in der Schweiz. «Werd’ doch endlich Schweizer», sagte ich zu ihm, da war unsere Ehe noch nicht besiegelt und unsere Kinder noch nicht geboren. Doch es passte nie. «Warum sollte ich?», sagte er jeweils. «Um mitzureden», war meine Standardantwort. Er: «Das kann ich auch so.»

Viele Jahre lang war das genug. Ich war es gewohnt, bei Abstimmungen als Einzige der Familie ein Stimmcouvert auszufüllen, und das war’s dann. Die Lage begann sich zu verschieben, als unsere Kinder eines nach dem anderen 18 wurden, mit Feuereifer ihre Jungbürger-Unterlagen studierten – und seither zur Urne gehen.

So kam es, dass mein Gatte und ich an einem Montag Mitte Januar ins Oberamt geladen waren, Amtshausquai Nummer 23 in Olten. Das Gespräch mit der Amtsvorsteherin war freundlich und wohlwollend. Mein Mann verhedderte sich bei der Anzahl der Halbkantone, punktete aber mit seinem Geschichtswissen. Bei «Schweizer Persönlichkeiten» fielen ihm die Astrophysikerin Kathrin Altwegg und Martin Disteli ein. Nicht Roger Federer.

Und nun ist mein Gatte also der jüngste Jungbürger unserer Familie. «Du hast ja recht», sagt er mir noch an besagtem Wahlsonntag: «Mitbestimmen ist besser als mitreden.»

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