Der Kaugummi-Indikator

Auch nach weit über 20 Jahren in Olten muss ich eingestehen, dass ich gewisse Quartiere kaum kenne. Wir gehen auf ausgetretenen Pfaden: in die Schule, zur Arbeit oder in die Beiz. Dabei ist auch unser Blick meist horizontal geradeaus gerichtet. Wir schauen nicht nach oben und kaum auf die Strasse. Es würde sich lohnen: Aufwendig gestaltete Dachuntersichten in der Altstadt täten sich auf, wenn wir gegen den Himmel schauten. Der Blick nach unten wiederum ginge auf die mit Kaugummis verzierten Trottoirs. Dabei gibt es durchaus Unterschiede, wie eine Feldforschung ergab: In gewissen Quartieren muss man die platt getretenen, eingetrockneten Kaugummi-Rondelle fast suchen, während der Abschnitt zwischen City-Kreuzung und Aare, die Mühlegasse oder der Bereich beim Schnellimbiss an der Kirchgasse reich bestückt, ja eigentliche «Walk of Fame» für Kaugummis sind. Wie kommt das? Die Erdanziehungskraft muss dort sehr stark wirken. Nachtschwärmer, Konzertbesucher und Hamburger-Liebhaber treten ins Freie und können ihren klebrigen, kleinen Freund einfach nicht mehr im Mund behalten, auch wenn sie noch so möchten. Der Nächste steht dann drauf, und das Trottoir-Muster ist um ein Element reicher. So entsteht allmählich Street Art mit Pointillismus-Technik. Wer neu nach Olten zieht, braucht bei der Wohnungssuche deshalb nur den Blick zu senken. Sucht er Ruhe, wählt er ein Quartier mit möglichst wenig Kaugummis auf dem Gehsteig, will er Unterhaltung, ist ein hoher Anteil richtungsweisend. So einfach ist das. Ich habe gelesen, dass Kaugummikauen die Leistung des Gehirns anregt. Entscheidet sich der Neuzuzüger für einen hohen Kaugummi-Koeffizienten, hat er demnach in nächster Nähe nicht nur Rummel, sondern auch viele helle Köpfe um sich.