«Edis Teppichstange»

Es könnte bei der Leserschaft dieser Kolumne in letzter Zeit der Eindruck entstanden sein, dass meine Nachbarn samt und sonders Urs heissen. Das ist nicht so, einer heisst zum Beispiel Edi und der andere Fredi. Die beiden sind beste Freunde, trinken gern zum Apéro einen Whisky auf Edis Sitzplatz hinter der Teppichstange und rauchen kubanische Zigarren. Fredi ist ein gross gewachsener Mann. Damit er unterwegs zum Sitzplatz nicht den Kopf an der Teppichstange anschlägt, hat Edi diese in der Mitte ein bisschen nach oben verbogen. Ohne Baubewilligung. Ich will nur hoffen, dass die Altstadtkommission das nicht spitzkriegt. Diese patrouilliert so oft in der Elsastrasse, dass man meinen könnte, diese sei im zwölften Jahrhundert und nicht im Ersten Weltkrieg errichtet worden. Wieso, weiss ich nicht. Vor der altehrwürdigen Villa Kull gleich nebenan jedenfalls, die einer banalen Flachdach-Siedlung weichen soll, verschliesst sie fest die Augen. Und auch in der Altstadt schaut die Altstadtkommission ganz offensichtlich weg, wenn Billig-Schuhläden und Tapetenfabrikanten die grössten Verbrechen aus Alu und Plexiglas begehen.
Aber Edis verbogene Teppichstange wird Ärger bringen. Im Mittelalter waren die Menschen viel kleiner als Fredi, also war es damals nicht üblich, Teppichstangen zu verbiegen. Nun begab es sich vor ein paar Monaten, dass die Altstadtkommission vollzählig direkt vor Edis Teppichstange stand - mit dem Rücken zur Teppichstange allerdings, denn die Mitglieder schauten einträchtig mit sorgenumwölkten Stirnen an die Fassade meines Hauses hinauf.
«Was guckt ihr so bekümmert!» rief ich durchs Glockengedröhn. Es war Freitag abend, die Katholiken riefen zum Schabat oder so.
«Deine Fenster… Siedlungsbild … Einheitlichkeit!» rief der Kommissionschef. Ich konnte ihn durch den Lärm nur bruchstückhaft verstehen.
Dann zogen die Herrschaften weiter, Gottseidank. Aber sie werden wiederkommen, ich weiss es. Ewig kann das nicht gut gehen mit der Teppichstange.