«Flaubert war kein Oltner»

Olten bezeichnet sich gern als Eisenbahnerstadt. Was wäre Olten ohne Bahnhof? Sowas wie Waldenburg oder Muri. Oder Stäfa. Wenn überhaupt. Nichts gegen Waldenburg, Muri oder Stäfa. Aber trotzdem.

Wir Oltner sind stolz auf dieEisenbahn. Umgekehrt kann die Bahn froh sein, dass sie uns hat. Was wären die SBB ohne Olten? Ein Netz ohne Knotenpunkt.Das würde nicht halten. 

Bei allem Stolz sollten wir uns aber bewusst sein, dass nicht überall auf der Welt und zu jeder Zeit die Eisenbahn in gleichhohem Ansehen steht wie bei uns in Olten. Der grosse Gustave Flaubert aus Rouen zum Beispiel sagte, die die schlimmsten Untaten moderner Zivilisation seien «Eisenbahnen, Gifte, Klistierspritzen, Crèmetorten, dasKönigtum und die Guillotine.»

Das war 1836, Flaubert war15 Jahre alt. Seither hat die Zivilisation einige Untaten moderner Zivilisation überwunden,namentlich das Königtum, die Guillotine und meines Wissens grossmehrheitlich auch die Klistierspritze. Aber die Eisenbahn ist noch da. Man könnte die Äusserung des Dichters als zeitbedingte Jugendsünde abtun. Aber zwei Jahre später schrieb er, doch immerhin schon 17 Jahre alt, eine neue Liste. Diese umfasste «Eisenbahnen, Fabriken, Chemiker und Mathematiker.»

Bemerkenswert ist Flaubertsvisionäre Kritik moderner Mobilität. Die Eisenbahn, sagt er, würde nur noch mehr Leuten gestatten, umherzufahren, sich zu treffen und gemeinsam dumm zu sein. Dazu muss ich sagen, dass ich selber viel mit der Bahn umherfahre und gern mit anderen Leuten dumm bin. Ganz anders Flaubert, der schrieb: «Es ödet mich in einem Zug so sehr, dass ich nach fünf Minuten vor Langeweile jaule. Die Passagiere glauben, es sei ein vergessener Hund; keineswegs, es ist Monsieur Flaubert, der seufzt.» 

Tja. Andere Leute sehen die Welt anders. Olten ist zwar überall, wie ein hiesiger Heimatdichter im patriotischen Überschwang unlängst sagte. Aber nicht jeder Mensch auf Erden ist ein Oltner. Flaubert war definitiv keiner.

Alex Capus

 

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