«Glänzen wir!»

Mein Vater ist in bester Dichterlaune, als er mir die Türe öffnet: «Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust», deklamiert er fröhlich und hält mir die Zeitung hin. Es geht um Oltens berühmtestes Privathaus. Das Haus mit dem Goldenen Dach, das nun – so hat es der Kanton verfügt – weniger glänzen und auf Mass gestutzt werden soll.
So zerrissen wie Goethes Faust ist mein Vater diesbezüglich allerdings nicht. Er hält es zwar mit der Ordnung und Bauvorschriften – aber noch viel mehr mit der Schönheit. «Ist das nicht ein wunderbares Aushängeschild der Stadt, wie es da über der Aare thront?» fragt er mich. Grad neulich, fährt er fort, seien er und meine Mutter am Uferweg entlangspaziert, um sich an dem architektonischen Schmuckstück zu erfreuen. Seinen mutigen Proportionen, der schillernden Dachfarbe. «Manchmal muss man halt die Regeln strapazieren und etwas wagen», sinniert er. «Sonst gäbe es keinen Fortschritt.»
Ich sage nichts. Denn ich bin nicht ganz so optimistisch. In Olten wollen die Leute keine glänzenden Dächer. Man will ohnehin nicht allzu hoch hinaus - beim Bauen schon gar nicht. Vor Jahren wollten ein paar Fantasten in Olten einen Turm bauen. Das Projekt war DAS Fastnachts- sujet des Jahres – und wurde schnell vergessen. Der Kleingeist ist geblieben. Aktuell sind schon die 31 Meter des geplanten Turuvani-Gebäudes vielen zu viel. Bei den städtischen Ausgaben ist per Referendum Knausern angesagt. «Mia san mia», hiess es selbstgefällig die letzten Tage.
«Weisst du, diese Stadt verbreitet keine Aufbruchstimmung», antworte ich meinem Vater schliesslich. Er aber bleibt dabei: «Wenn’s drauf ankommt, sind die Oltner für den Fortschritt», beharrt er. «Das waren sie schon immer.»