«Heimweh »

Kürzlich habe ich mit einem jungen Oltner Wirtesohn im «Gleis 13» ein Bier getrunken, der neun Monate zum Englischlernen in San Franciscogewesen war. Oh, so eine coole Stadt, am liebsten wäre er fürimmer dort geblieben. Englisch hat er schon auch gelernt, aber nicht unbedingt an der Schule. Die Musik, die Hippies, die Kommunen, Silicon Valley, Berkeley und Stanford University, die Walfische vor der Küste und die Mammutbäume in den Bergen, die Golden Gate Bridge, die aus dem Nebel in die Sonne aufragt, während die Hochseefrachter an Alcatraz vorbeitröten… und, oh ja, der Nebel.
Der junge Mann ging oft imNebel am Golden Gate spazieren. Dann musste er an zu Hause denken, wo der Nebel dicht wie Zuckerwatte über die Aarewabert, und dann sagte er zu sich selbst: Ja, solchen Nebel haben wir auch in Olten.
San Francisco ist die coolste Stadt der Welt, aber als die neun Monate um waren, hat der junge Mann sich ins Flugzeug gesetzt und ist heim nach Olten geflogen. Und jetzt ist er wieder hier. Warum? Na, weil er hier zuHause ist.
Sonderbar. Wir Oltner findenunser Städtchen nicht sonderlich toll, deswegen reisen wir gern in der Welt herum. Aber kaum sind wir weg, haben wir’s schon wieder eilig, heim nach Olten zu kommen. Die Oltner, so sagt der Volksmund, bekommen Heimweh, sobald sie den Stadtturm aus den Augen verlieren. Und manche haben auch Heimweh, wenn sie den Stadtturm den ganzen Tag anschauen können.
Tausende von Heimweh-Oltnern leben über die ganze Weltverstreut, und alle kehren sie heim wie die Lachse, sobald die Chilbi ansteht oder das Schulfest. Vielleicht liegt das gerade daran, dass Olten nichts Besonderes ist. Eine Stadt, die sich für wasBesonderes hält, muss man wegen ihrer Selbstgefälligkeit auch mal hassen. Und dann kann es geschehen, dass man ihr gänzlich fernbleibt.
Eine Stadt wie Olten aber, die eher zum Selbsthass neigt - die muss man einfach gern haben.
Alex Capus