«Les petites fugues»

Ein Trompetenkonzert auf dem Heimweg, nachts um halb drei. Ausgelassenes Singen mit temporär Gleichgesinnten. Freche Sprüche, die normalerweise nicht so leicht über die Lippen gehen. Den einen ist Fasnacht wie eine Sucht, den anderen eine Flucht. Ein Ausbrechen aus der Spur, ein dosiertes Übermütigsein. Es muss nicht die fünfte Jahreszeit sein, alle suchen sich kleine Fluchten, immer wieder. Flucht vor dem täglichen Funktionieren. Flucht vor zu viel oder zu wenig Arbeit. Flucht vor der grossen Langeweile, die unmerklich über uns kommt. Flucht vor dem allzu Vertrauten. Flucht vor Gleichgesinnten und denen, die uns anwidern. Flucht vor dem gesättigten Leben. Flucht vor dem Gerenne, dem Ellbögeln und Leiternsteigen. Flucht vor dem Druck, der zur Last wird. Flucht vor den Bildern der wirklich Flüchtenden.
Kleine Fluchten haben viele Gesichter. Sie sind individuell und kommen daher als grosse Reise oder kleine Freude. Gewisse Fluchten begleiten uns ein Leben lang, auf anderes kommen wir erst mit dem Älterwerden, wenn wir uns endlich eingestehen, was wir brauchen für ein zufriedenes Leben. So wie Pipe der Knecht, der im Film «les petites fugues» auf seine alten Tage hin ein Töffli kauft und damit die Welt neu erfährt. Andere flüchten ins Fitnessstudio, sie müssen schwitzen und den Puls spüren, damit sich eine Zufriedenheit einstellt. Auf dem Laufband arbeiten sie hart an sich, die Stöpsel in den Ohren, den Nachbarn in Riechweite. Sie rennen, ohne einen Meter vorwärts zu kommen.
Ist das bloss lustig anzuschauen oder Sinnbild für die Tragik des Menschseins? So sehr wir auch flüchten möchten, wir bleiben letztlich immer in unserer eigenen, kleinen Welt.