«Olten ist keine Bananenrepublik»

«Jetzt hör aber auf, Urs», sagte ich kürzlich zu meinem Nachbarn Urs. «Olten ist doch keine Bananenrepublik.»
«Wieso nicht?» sagte Urs.
«Weil in Olten keine Bananen wachsen», sagte ich. «Bananenrepubliken nennt man gewisse Länder Mittelamerikas, in denen Bananenwachsen.»
«Aber nicht wegen der Bananen»,sagte Urs. «Sondern wegen der Regierungsform.»
«Genau», sagte ich. «Bananenrepubliken haben eine Junta. Olten hat keine Junta.»
«Was ist deiner Meinung nach eine Junta?» fragte Urs.
«Eine kleine Gruppe von Leuten, die das Staatswesen unter Kontrolle hält. Sie stellt nicht nur den Präsidenten und die Regierung, sondern auch das Parlament, das ja eigentlich die Regierung beaufsichtigen müsste. Und sie kontrolliert die Zeitungen, die eigentlich Regierung und Parlament beaufsichtigen müssten.»
«Eine Bananenrepublik kennt keine Gewaltentrennung», sagte Urs.
«Genau», sagte ich.
«Dann schau dir mal den Oltner Stadtschreiber an», sagte Urs. «Der ist nicht nur Beamter und Schreiber der Regierung, sondern führt auch selbst Regierungsgeschäfte wie ein Minister. Daneben ist er der Schreiber des Parlaments und schreibt die Protokolle der Geschäftsprüfungskommission, die ja eigentlich die Geschäfte derRegierung kontrollieren müsste.»
«Hm», sagte ich.
«Und als ob das noch nicht genugwäre, schreibt er auch Tag für Tag das halbe Oltner Tagblatt voll. Er hat sogar ein eigenes Kürzel. «sko». Das heisst «Stadtkanzlei Olten».
«Das ist tatsächlich unschön», sagte ich. «Aber er ist halt der Klügste von den sechsen, was soll man machen.»
«Mach keine Witze, Gewaltentrennung ist eine Grundfeste der Demokratie», sagte Urs. «In Olten nimmt der Stadtschreiber Einsitz in der ersten, der zweiten und der viertenGewalt. Fehlt nur noch, dass er im Amtsgericht bei der Judikative Einsitz nimmt.»
«Und dass er in Polizeiuniform Parkbussen schreibt», sagte ich. «Immerhin nimmt er noch niemandem in der Kirche die Beichte ab.»
«Jetzt, wo du’s sagst», sagte Urs. «Die Stimme im Beichtstuhl der Marienkirche letzten Samstag kam mir irgendwie bekannt vor.»
Alex Capus