Systemfehler

Wir haben in meiner Bar eine Regel: Keine Getränke draussen nach 22 Uhr. Wegen der Nachbarn. Wegen des Lärms. Es ist eine prophylaktische Massnahme, ein Zeichen des guten Willens gegenüber Anwohner und Polizei und Stadt. Niemand zwingt mich dazu, diese Regel zu machen ausser der Umstand vielleicht, dass Menschen in bierseligem Zustand vergessen, dass nicht alle Freude daran haben, wenn jemand mitten in der Nacht auf der Strasse herumschreit.
Es ist eine mühsame Regel. Für unsere Gäste, die mit ihrem Glas nicht einfach rausspazieren können, aber auch für uns. Sie durchzusetzen braucht Geduld – und Nerven. Wochenende für Wochenende spielt sich dieselbe Szene ab: Barkeeper/in geht nach draussen und ermahnt die Gäste. Gast A geht rein, Gast B versucht Zeit zu schinden, aber geht dann doch rein. Gast C hingegen tut, als hätte er nichts gehört. Auch beim zweiten und beim dritten Mal. Warum er denn nicht reingehe? «Aus Prinzip», sagt er, ihm habe niemand etwas zu sagen, meint der Gast.
Ich kann seine Einstellung ver-stehen, seine Aversion gegen Vorschriften, gegen das System. Genauso verstehe ich Teenies, die ihr eigenes Dosenbier mitbringen, Typen, die ihren Joint aus Protest im Fumoir rauchen wollen und Leute, die «Smash Capitalism!» an eine Wand sprayen. Die Welt ist ungerecht. Dagegen muss man rebellieren. Dagegen muss man etwas tun.
Was Gast C und Co. dabei vergessen: Wir sind nicht das System. Wir sind nicht die, die ihm vorschreiben, wie er zu leben hat. Wir sind nicht die, die Gras kriminalisieren, Menschen ausbeuten und schon gar nicht sind wir die, die um 22 Uhr im Bett liegen wollen. Im Gegenteil: Genau damit wir niemanden um 22 Uhr ins Bett schicken müssen, schicken wir sie rein.