Va pensiero

In Olten treffe ich immer mal wieder auf interessante Gäste. Die Beweggründe, die sie ausgerechnet hierherführen, sind nicht immer nachvollziehbar. Mal haben diese Besucher klare Botschaften, mal sind sie eher schleierhaft. Insofern passen sie gut zur Kleinstadt. So stehen alle paar Tage adrett gekleidete und ausnehmend freundlich grüssende Menschen in aller Herrgottsfrühe auf der Bahnhofbrücke und strecken mir die Botschaft «Erwachet!» entgegen. Ich bin am Morgen in der Regel ziemlich wach, wenn ich aus dem Haus gehe. Aber ein paar Gedanken zu schönen Träumen und dem bösen Erwachen danach haben in diesen Tagen durchaus eine gewisse Aktualität. Bereits ziemlich wach waren die Blasmusiker, die am letzten Samstag in der Innenstadt den sonnigen Frühlingsmorgen mit ihren Klängen anreicherten. Die vier jungen Männer kamen aus der Millionenstadt St. Petersburg, wie auf einem Pappschild zu lesen war, das in einem auf-geklappten Instrumentenkoffer stand. Auf ihrer Europatournee machten sie Halt in der Solothurner Metropole und ihr Musikstück war geradezu prophetisch. Sauber intoniert und bestens harmonierend spielten sie «Va pensiero» aus Verdis Oper «Nabucco». Sie wussten offenbar, dass der Gefangenenchor gut zur Kleinstadt passt, waren deren Bewohner doch an diesem Abstimmungswochenende drauf und dran, sich vom Steuerjoch zu befreien, vor dem sie sich fürchteten. In der Oper singt der Chor zu Beginn des Stücks: «Va, pensiero, sull’ali dorate», was übersetzt so viel heisst wie «Geh, Gedanke, auf goldenen Schwingen». Ein paar klare Gedanken dürften an der Aare in den nächsten Wochen und Monaten Gold wert sein. Man muss ja nicht gleich zu Höhenflügen ansetzen.