Wintergäste, häufig

Olten ist nicht gerade bekannt für seinen Winter-Tourismus. Es ist oft grau, schneit selten und wenn, dann ist der Schnee bald so grau und ungastlich wie der Himmel darüber. Auch meine italienischen Gäste kamen letzte Woche nicht der Stadt wegen zu Besuch, sondern weil sie ein Konzert in Zürich gespielt, dort aber kein Bett hatten.
Also übernachteten die drei Römer bei mir und als wir am Sonntag Nachmittag der Aare lang Richtung Bahnhof spazierten, mussten sie lachen, lachten über ein Wort, das gross an der Fassade prangte: «lungomare». Entlang des Meeres heisse das, aber wo sei da bitte ein Meer? Der Fluss sei ja ganz schön, schöner als der Tiber, diese ewige Schlammlawine, aber... Ich verteidigte den Umstand, erzählte vom Restaurant und dessen Speisekarte. Und dass wir Schweizer uns halt doch sehnen würden nach Strand, Küste und unendlichem Horizont. Wenigstens fliesse die Aare in den Rhein und dieser ins Meer. Und: Bei uns gibt es Möwen.
Kamen die Möwen immer schon nach Olten? Mag sein. Aufgefallen sind sie mir erst vor ein paar Jahren. Wie sie nervös vor meinem Wohnzimmerfenster herumflattern. Wie sie in ge-konnter Flugstaffel über der Aare kreisen, um sich dann auf ein von Menschen unerkanntes Kommando auf der Alten Brücke niederzulassen. Wie sie einfach so dasitzen, im kalten Wasser und die Bezeichnung «Strandbad» für die Badi ein bisschen weniger übertrieben wirken lassen.
Als ich meine italienischen Freunde verabschiedet hatte, hielt ich auf dem Heimweg bei der verwitterten Info-Tafel gleich neben der Wildsau. «Tiere des Aareraums» stand drauf und unter Nummer 6 auf der Liste: «Lachmöwe. Wintergäste, häufig.»