Pioniergeist und Sinnkrise

Philippe Ruf Sein Amtsjahr als Präsident des Oltner Gemeindeparlaments geht zu Ende. Philippe Ruf erzählt von Herausforderungen der Pandemie und Ernüchterung im Oltner Wahlkampf.

Bewegtes Jahr als Präsident des Oltner Gemeindeparlaments: Philippe Ruf vor seinem Lieblingsbild des Solothurner Malers Roland Flück. (Bild: Franz Beidler)
Bewegtes Jahr als Präsident des Oltner Gemeindeparlaments: Philippe Ruf vor seinem Lieblingsbild des Solothurner Malers Roland Flück. (Bild: Franz Beidler)

Was war denn ihre schönste Aufgabe als Präsident des Oltner Gemeindeparlaments, Herr Ruf? Denkpause, Blick in die Ferne. Philippe Ruf sitzt am hölzernen Tisch seiner Wohnung im Oltner Kleinholz, vor sich die zweite Tasse frischen Kaffees. Über das ebenerdige Balkonfenster drückt ein sommerlicher Nachmittag in die moderne Wohnküche. Zwei weitere Tassen Kaffee und ein Mandelgipfel werden noch folgen.

Ruf setzt zu einer Antwort an, hält sich dann doch nochmals zurück, obwohl er eigentlich kein zögerlicher Erzähler ist, eher ein quirliger. Eben noch hatte er von seiner Küche geschwärmt. Er koche halt wahnsinnig gerne und habe sich vor Jahren schon in dieses Modell verliebt. Erst als er vor zwei Jahren ins Kleinholz zog, verwirklichte er sich den Traum.

«Dass Olten Aufmerksamkeit für die Pionierarbeit bekam», sagt Ruf dann. Der 32-Jährige führte seit letztem Sommer das Oltner Gemeindeparlament als dessen Präsident – auch durch die Coronakrise. Im letzten Advent weigerten sich mehr als ein Drittel der Abgeordneten, sich weiterhin mit dem Parlament in einen Raum zu setzen. Zu gross war die Angst vor einer Ansteckung mit dem Virus. Ruf musste die Sitzung absagen.

Im Januar entschied er dann, die Parlamentssitzung digital abzuhalten. Es war die erste digitale Sitzung eines Gemeindeparlaments in der Schweiz. Prompt musste Ruf sie nach nur einer Stunde wegen technischer Probleme abbrechen. «Wenn man Neues versucht, fällt man halt mal hin», meint er achselzuckend. «Aber wieso fallen wir? Damit wir lernen aufzustehen und es besser zu machen», erklärt er dann. Tags darauf konnte die Sitzung digital und ordnungsgemäss durchgeführt werden. Seither fand jede Sitzung des Oltner Parlaments digital statt, ohne weitere Zwischenfälle.

Über den historischen Moment berichteten diverse Medien, darunter auch die Sendung «Echo der Zeit», «meine Lieblingssendung», sagt Ruf. Die Erfahrungen aus Olten waren daraufhin begehrt: «Ich erhielt Anrufe vom Kanton Aargau und von der Stadt Bern», erzählt Ruf. Alle wollten wissen, wie das Oltner Parlament die digitalen Sitzungen nun hinbekommen hatte.

Antrittsrede: «Unnötig»

Für seinen Amtsantritt im Sommer 2020 habe er sich schon zwei, drei Dinge vorgenommen gehabt, sagt Ruf. So verzichtete er auf seine Antrittsrede. «Unnötig», befand er. «Schliesslich stehen wir im Dienst der Bevölkerung.» In der Pandemie wollte er so als gutes Beispiel vorangehen. «Effiziente Sitzungen», führt er dann auf. Das ist wenig überraschend, schliesslich findet sich Ruf oft in Sitzungen wieder: In jenen der SVP Stadt Olten, der er bis zum vergangenen April vorstand, oder in jenen des Oltner Gemeindeparlaments, dem er seit 2016 angehört – und seit diesem Frühling auch in jenen des Solothurner Kantonsrats, in den Ruf eben gewählt wurde.

Sitzungen effizient zu leiten, sei nicht immer einfach, «schliesslich ist ein Parlament naturgemäss nicht einer Meinung», erklärt Ruf und schmunzelt vielsagend. «Klar», bestätigt er mit ausgebreiteten Armen die Frage nach Interessenkonflikten. Während das Parlament diskutiert, muss sich der Präsident um Gleichbehandlung kümmern, «das gehört zum Amt.» Er habe das oft erlebt, zuletzt als der Umgang mit Randständigen in Oltens Innenstadt diskutiert wurde, ein Vorstoss, den Ruf selber noch vor seinem Präsidialjahr lanciert hatte. «Dann weibeln die gegen dich und du darfst nichts sagen.» Da müsse man dann darüberstehen als Präsident. Er sei noch nie ein Hitzkopf gewesen, meint Ruf. «Aber meine Gelassenheit habe ich in diesem Jahr wohl schon weiterentwickelt.»

Einblick in alle Themen

Genossen hat Ruf als Parlamentspräsident hingegen die Vielfalt. «Als Präsident muss ich natürlich alle Geschäfte kennen», erklärt er. So habe er Einblick in Themen gewonnen, die sonst nicht unbedingt in seinem Fokus stünden. «Energiefragen, Sozialwerke, Tagesstrukturen in Schulen», zählt Ruf auf. Auch die enge Zusammenarbeit mit der Verwaltung schätzte er. «Ich stehe Verwaltungen naturgemäss ja eher kritisch gegenüber», meint er. Im Präsidialjahr habe er die Oltner Stadtverwaltung aber als sehr kompetent kennen gelernt.

Während für Ruf die Coronapandemie im Präsidialjahr eine Herausforderung war, die ihn antrieb, verfiel er ob des Wahlkampfs im Frühling in eine Sinnkrise. «Da wurde mir klar, dass mediale Auftritte zunehmend höher gewichtet werden als Kompetenzen und Leistung», sagt Ruf nachdenklich. Als Parlamentspräsident sehe er ja, wer wie viel für das Parlament arbeite. «Gewählt werden dann aber jene, die in den Medien am prominentesten sind.»

«Will ich wirklich Teil davon sein?»

So verschärfte sich Rufs Tonfall in der Zeit um die Wahlen. «Wir kommen in Olten nicht vorwärts, wenn nur nach Fasnachts-Clique oder Nachnamen gewählt wird.» Auf die direkte Art sei er auch angesprochen worden. Rufs Zweifel hörten aber nicht an Oltens Stadtrand auf, sondern gingen tiefer: «Will ich wirklich Teil davon sein?», habe er sich hintergründig gefragt. «Wenn nicht Kompetenz und Leistung Wählerstimmen gewinnen, sondern Facebook- und Twitterposts?»

Schliesslich fand Ruf zu seiner Überzeugung zurück, die auch sein grundsätzlicher Antrieb für die Politik ist: «Das Glück und die Privilegien, die man in der Schweiz hat, anderen auch zu ermöglichen.» Er habe nichts dafür gemacht, dass er hier geboren sei, ausser dass er pures Glück hatte. «Also müssen wir das schätzen und dafür arbeiten, dass andere auch einmal dieses Glück haben dürfen.»

Auch der politische Alltag nach den Wahlen half ihm, die Sinnkrise zu überwinden. «Nach den Wahlen verschwanden die Showthemen wieder, mit denen sich die Leute zu profilieren versuchten.» Seinen Vorsatz für das Präsidialjahr, der Oltner Politik als Ganzes zu mehr Transparenz und damit mehr Glaubwürdigkeit zu verhelfen, darin sieht sich Ruf aber dennoch «nur als beschränkt erfolgreich», wie er es nennt.

Dass er das Amt bald wieder abgeben muss, besorgt Ruf nicht. Entzückt ist er deswegen aber auch nicht. «Ich habe das gerne gemacht.» Sein Präsidialjahr sei wegen Corona kaum mit anderen vergleichbar. «Ich war nicht jedes Wochenende an drei Veranstaltungen, um das Parlament zu repräsentieren.» Zeitlich sei das sicher entlastend gewesen. «Aber eigentlich ist es traurig.»

Gut finde er, dass er nun nicht mehr neutral sein müsse. Rufs Kampfgeist schlägt wieder durch: «Die Ablehnung vom Budget 2019», meint er, «das wird sich nächstes Jahr vermutlich wiederholen.» Da er nun nicht mehr Präsident sei, könne er sich dafür einsetzen. «Wenn du etwas für richtig hältst, dann musst du es nicht nur denken oder sagen», erklärt Ruf. «Dann musst du es machen.»

 

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