Zwischen Stammtisch und Eckbank

Gastro Region Olten und Niederamt Die Gastrobranche befindet sich in einer bizarren Situation: Sie leidet gleichzeitig unter zu wenig Umsatz und zu wenig Personal.

«Eine positive Einstellung ist auch ansteckend»: Bernadette Rickenbacher, Präsidentin von Gastro Region Olten und Niederamt und Inhaberin der Suteria Olten. (Bild: fb)
«Eine positive Einstellung ist auch ansteckend»: Bernadette Rickenbacher, Präsidentin von Gastro Region Olten und Niederamt und Inhaberin der Suteria Olten. (Bild: fb)

Das müsse wohl das dreiundzwanzigste sein, mutmasst Bernadette Rickenbacher, Präsidentin von Gastro Region Olten und Niederamt. Zusammen mit Lebenspartner Peter Oesch führt sie die Suteria Olten. Ebendort steht sie neben dem Tresen und blättert in einem Ordner, den sie aus dem Wandregal hinter sich genommen hat. In diesem Ordner bewahrt sie das jeweils aktuelle Coronaschutzkonzept auf. Es ist nun tatsächlich schon das dreiundzwanzigste, das Gastronominnen und Gastronomen wie Rickenbacher umsetzen müssen. Im Schnitt ist das also rund eines pro Monat seit Beginn der Pandemie. Das bedeute immer etwa einen Tag zusätzlicher Arbeit, schätzt Rickenbacher. «Durchlesen, die Mitarbeitenden orientieren – die müssen das ja dann unterschreiben –, dann Plakate und Infotafeln beschriften und aufhängen», erklärt sie den Ablauf.

Der schwierigste Teil ist aber die Umsetzung der Konzepte. «Wir wollen Gastgeber sein, nicht Polizisten», sagt Rickenbacher. Zertifikate zu kontrollieren brauche nicht nur Zeit. Allzu oft werden Mitarbeitende im Service zur Zielscheibe für den angestauten Frust der Bevölkerung. «Siebzig Prozent unserer Gäste sind freundlich und helfen uns, die Massnahmen umzusetzen», stellt die Verbandspräsidentin klar. Beim Rest komme es immer wieder zu Zwietracht. «Besonders, wenn ich Stammgäste wegschicken muss, weil sie kein Zertifikat oder keinen Ausweis dabei haben.» Betriebe auf dem Land, also mehr als die Hälfte der Mitglieder von Gastro Region Olten und Niederamt, treffe das besonders schwer. Das Amt für Wirtschaft des Kantons Solothurn, das die Einhaltung der Massnahmen regelmässig kontrolliert, bestätigte Rickenbacher auf Nachfrage, dass jeder Gast bei Eintritt kontrolliert werden müsse, auch wenn er am gleichen Tag mehrmals komme. Andernfalls spricht das Amt Verwarnungen und auch Bussen aus. «Das ist schon einigen Mitgliedern passiert», weiss Rickenbacher. Denn der Vorstand von Gastro Region Olten und Niederamt kommt regelmässig zusammen. Ausserdem tauschen sich die Mitglieder in einer Whatsapp-Gruppe aus. Als Verbandspräsidentin werde sie oft auch per Mail oder Telefon um Rat angegangen, erzählt Rickenbacher.

«Wir tragen alle diese Massnahmen mit», stellt sie stellvertretend für die Branche klar. «Trotzdem werden wir immer als Ansteckungsherde gebrandmarkt.» Wenn sie dann noch sehe, wie lasch Ferienrückkehrer oder schon nur die Maskenpflicht im öffentlichen Verkehr gehandhabt werde, dann mache sie das schon wütend. «Das sind einfach zwei verschiedene Massstäbe.»

Gastrobranche in bizarrer Situation

Die Pandemie und die Massnahmen dagegen haben die Gastrobranche in einer bizarren Situation zurückgelassen: Einerseits fehlt es schlicht an Umsatz. Der sei nach wie vor um rund die Hälfte eingebrochen. «Wenn die Leute im Home Office arbeiten, haben wir kein Mittagsgeschäft mehr», macht Rickenbacher ein Beispiel. Dazu kamen die langen Durststrecken mit Kurzarbeit, was wiederum zu Entlassungen führte. «Die Sozialleistungen müssen die grossen Betreibe auch während der Kurzarbeit bezahlen. Das kann sich ein Betrieb nicht lange leisten», erklärt die Präsidentin.

Um die Betriebe finanziell zu unterstützen, lancierte Gastro Region Olten und Niederamt zu Beginn des letzten Jahres die Aktion «Spenderwii für d’Gastronomie!». Gäste konnten einem Betrieb ihrer Wahl Geld spenden und erhielten dafür pro hundert gespendeter Franken eine Flasche Weisswein. «Die Aktion war ein Erfolg», bilanziert Rickenbacher. «Bis zum Ende im letzten Sommer kamen insgesamt 35000 Franken zusammen.» Weitere Aktionen dieser Art seien aber im Moment nicht geplant.

Personalmangel schon vor Corona

Auf der anderen Seite litt die Branche schon vor der Pandemie an Personalmangel. «Der hat sich nun nochmals massiv verschärft», sagt Rickenbacher. Nun sind es nicht mehr nur die unbeliebten Randarbeitszeiten und ein teils geringer Fixlohn, unter denen die Gastroberufe leiden. «In der Kurzarbeit fällt auch noch das Trinkgeld weg. Und die Unsicherheit und die gereizte Stimmung, die wir abbekommen, schlagen auf die Moral», erklärt Rickenbacher.

In der Folge hätten sich viele gutausgebildete Fachkräfte umorientiert. «Die sind in jeder Branche beliebt, weil sie belastbar sind und gut mit Menschen umgehen können. Ausserdem sind sie es gewohnt, zu Stosszeiten mehr zu leisten.» Sie wisse von einem Oltner Restaurant, das inzwischen nicht mehr von den Coronamassnahmen gezwungen werde, weniger Tische aufzustellen, sondern weil das Personal fehle, diese zu bedienen.

Um dem Personalmangel entgegenzuwirken, begann Gastro Region Olten und Niederamt schon 2019 damit, in Oberstufenklassen für die Berufe zu werben. «Wir haben mit den Schülerinnen und Schülern Tische gedeckt und gekocht. Abends kamen dann die Eltern zum Apéro», erinnert sich Rickenbacher. Mit der Pandemie seien solche Aktionen natürlich undenkbar.

«Wir wollen Gastgeber sein»

Trotz der schwierigen Gesamtsituation sagt Rickenbacher klar: «Wir wollen arbeiten und Gastgeber sein.» Sollten tatsächlich wieder Schliessungen nötig werden, dann müsste die Härtefallregelung schnell und unbürokratisch greifen. Als Riesenschritt bezeichnet sie, dass inzwischen dem Bundesrat nicht mehr die Ansteckungszahlen, sondern die Situation in den Spitälern als Entscheidungsgrundlage dient. «Dieses Umdenken kommt uns in der Gastrobranche sehr entgegen.»

Als Einzelner könne man die Gastrobranche vor allem dadurch unterstützen, dass man sich wieder zu einem Besuch traue. «Unser grösster Wunsch ist, dass die Leute wieder unbeschwerter sind.» Und auch ein freundlicher Umgangston in den Lokalen selbst sei wichtig. Denn: «Eine positive Einstellung ist auch ansteckend.»

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