«Gewalt ist nicht gleich Aggression»

Beratungsstelle Gewalt für Täter Seit Oktober des vergangenen Jahres betreibt der Kanton Solothurn eine Beratungsstelle für Gewalttätige. Deren Leiter Martin Schmid gewährt Einblick in die ersten Erfahrungen.

«Erfolg bedeutet, die Selbstwahrnehmung zu schärfen». Der Leiter der Beratungsstelle Gewalt für Täter Martin Schmid in den Oltner Räumlichkeiten. (Bild: Franz Beidler)
«Erfolg bedeutet, die Selbstwahrnehmung zu schärfen». Der Leiter der Beratungsstelle Gewalt für Täter Martin Schmid in den Oltner Räumlichkeiten. (Bild: Franz Beidler)

Mit dem Gewaltpräventionsprogramm 2019-2022 lancierte der Kanton Solothurn auch die Beratungsstelle Gewalt für Täter, ein Angebot für Menschen, die befürchten, bald gewalttätig zu werden oder bereits Gewalt ausgeübt haben. «Dieses Angebot ist nötig», hält der Leiter der Beratungsstelle Martin Schmid fest und verweist auf die Kriminalitätsstatistiken. Rund 1’500 Gewaltstraftaten werden im Kanton Solothurn jährlich registriert. Dazu kommen noch etwa 750 Straftaten im Bereich der häuslichen Gewalt, wo von einer hohen Dunkelziffer auszugehen ist. «Gewalt ist überall», hält Schmid fest. Seit 24 Jahren leitet er die Bewährungshilfe des Kantons, davor war er sieben Jahre als Sozialarbeiter in der Strafanstalt Schöngrün tätig. Ende der Nullerjahre bildete er sich weiter zum Gewaltberater und dann zum Tätertherapeuten. Im Oktober des vergangenen Jahres übernahm er die Leitung der neu geschaffenen Beratungsstelle Gewalt für Täter mit einem Team von vier Leuten und Räumlichkeiten im Zürihaus in Solothurn und im Amtshaus Olten. Für das Pilotprojekt stehen bis 2022 250’000 Franken aus dem Lotteriefonds des Kantons zur Verfügung. «Die Finanzierung ist schwer abzuschätzen, schliesslich gibt es keine vergleichbare Stelle in der Schweiz», so Schmid. Das Angebot für die Bevölkerung des Kantons ist kostenlos. Es richtet sich an Täterinnen und Täter aller Arten von Gewalt: «Gewaltstraftaten, häusliche Gewalt und ebenso Formen der Gewalt von Jugendlichen oder Kindern.» Wer Hilfe sucht, meldet sich per Telefon oder E-Mail und vereinbart einen Termin, entweder in Olten oder in Solothurn. «Wir verstehen uns nicht als Notfallstelle», hält Schmid fest.

«Ewig Reden bringt nichts»

Die Gespräche seien zeitlich immer auf rund eine Stunde begrenzt. «Ewig Reden bringt nichts», weiss Schmid aus Erfahrung. Vielmehr versuche er, eine Kernbotschaft zu vermitteln, die sein Gegenüber dann mitnehmen könne. Danach wird ein neuer Termin vereinbart. «Am besten finden die Gespräche wöchentlich am gleichen Tag zur gleichen Zeit statt», so Schmid. Das gäbe den Hilfesuchenden Zeit, sich mit dem Besprochenen zu beschäftigen. «Wir versuchen einen Prozess in Gang zu setzen, in dem die eigenen Denkmuster hinterfragt und eine bessere Selbstwahrnehmung entwickelt werden», sagt Schmid und stellt klar: «Ich kann niemanden ändern, das kann nur jeder Mensch für sich.»

Gewalt als letzter Ausweg

Dieser Bewusstwerdungsprozess, wie es Schmid nennt, sei entscheidend. «Gewalt anzuwenden macht für Betroffene in dem Moment Sinn», erklärt er. Oftmals fühlten sich Täterinnen und Täter ohnmächtig und wählten Gewalt als letzten Ausweg, «weil sie nicht anders für sich einstehen können.» Dabei will Schmid Täter und Opfer nicht verwechseln, hält aber dennoch fest: «Sowohl Täter als auch Opfer fühlen sich vom Gegenüber bedroht.» So komme es dann zur Gewaltanwendung. «Wir definieren Gewalt als physische Eskalation», erklärt Schmid. Aggressionen wie Beleidigungen oder sogar Sachbeschädigungen zählten noch nicht als Gewalt. «Aggression und Gewalt werden oft verwechselt», so Schmid. Das könne verheerend sein, denn für sich einzustehen, bedinge eine Form von Aggression.

15 Anmeldungen in drei Monaten

In den ersten drei Monaten ihres Betriebs verzeichnete die Beratungsstelle Gewalt für Täter 15 Anmeldungen aus dem ganzen Kanton Solothurn. Vier davon waren Frauen, zwei waren Jugendliche. «Die Ältesten, die vom Angebot Gebrauch machten, waren über siebzig Jahre alt.» Insgesamt fanden bisher 23 Gespräche statt. Vier der Fälle wurden bereits abgeschlossen. «Das bedeutet, dass kein Termin mehr vereinbart wurde», sagt Schmid, «die Gründe dafür können vielfältig sein.» Die plötzliche Selbsterkenntnis zählt ebenso dazu, wie der Abbruch der Bemühungen. Auch die Umstände der Gewalt unterscheiden sich: «Scheidungsfälle, Nachbarschaftskonflikte und Gewalt am Arbeitsplatz kommen alle vor», so Schmid. Der überwiegende Teil sei aber häusliche Gewalt. «Eine gewaltfreie Gesellschaft ist eine Utopie», meint Schmid nachdenklich. Das Pilotprojekt sei dann erfolgreich, wenn es genutzt werde. «Erfolg bedeutet für uns, dass wir bei jedem Fall die Selbstwahrnehmung schärfen und damit etwas zur weiteren Prävention von Gewaltdelikten beitragen können.»

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