Bedroht im eigenen Heim

Frauenhaus Aargau-Solothurn Dieses Jahr kann das Frauenhaus Aargau-Solothurn auf 30 Jahre Engagement gegen Gewalt zurückblicken. Von der sich in der Gesellschaft beunruhigenden Veränderung der Gewalt, berichtet Betriebsleiterin Jael Bueno.

Jael Bueno, Betriebsleiterin Frauenhaus Aargau-Solothurn sorgt sich über die Entwicklung der Gewalt: «Der Griff zur Waffe oder die Verbreitung von Nacktbildern von Jugendlichen im Internet ist zunehmend.» mim)
Jael Bueno, Betriebsleiterin Frauenhaus Aargau-Solothurn sorgt sich über die Entwicklung der Gewalt: «Der Griff zur Waffe oder die Verbreitung von Nacktbildern von Jugendlichen im Internet ist zunehmend.» mim)

Vor 30 Jahren wurde das Frauenhaus Aargau mit dem Ziel gegründet, gewaltbetroffenen Frauen und ihren Kindern Unterstützung anbieten zu können. Zwei Jahre später wurde die Stiftung ins Leben gerufen, um die Arbeit des Frauenhauses zu sichern. Seit 2007 hat der Kanton Solothurn mit dem Frauenhaus Leistungsvereinbarungen abgeschlossen, damit auch Solothurnerinnen Anspruch auf Hilfe erhalten. «Rund 60 Prozent der betreuten Frauen stammen aus dem Kanton Aargau, rund 30 Prozent aus dem Kanton Solothurn und die restlichen 10 % aus anderen Kantonen», erklärt die Betriebsleiterin und Soziologin Jael Bueno.

Betroffene aus allen Schichten undAltersklassen

 

Für 13- bis 18-jährige Mädchen und Frauen, welche unter systematischer Misshandlung leiden, hat das Frauenhaus eine spezielle Abteilung eingerichtet. «Mehrheitlich betreuen wir jedoch Erwachsene im Alter zwischen 18 und 70 Jahren», erklärt Bueno. Das Frauenhaus Aargau-Solothurn ist das ganze Jahr während 24 Stunden unter der Notfalltelefonnummer erreichbar. Am Telefon wird die sogenannte Opferqualität überprüft. «Wenn wir beispielsweise feststellen, dass die Anruferin von Beziehungsproblemen berichtet, aber nicht von häuslicher Gewalt, können wir die Frauen, an eine Paarberatung vermitteln», erklärt Bueno, denn das Frauenhaus arbeitet mit verschiedenen Fachstellen zusammen. Wenn im Kern eine systematische Ausübung von psychischer und/oder physischer Gewalt ersichtlich ist, also die Frauen geschlagen, kontrolliert und bedroht werden, wird eine Aufnahme im Frauenhaus organisiert. Manchmal sei aus Sicherheitsgründen auch die Verlegung in ein Frauenhaus eines anderen Kantons nötig, so Bueno.

Denkmuster durchbrechen

 

«Häusliche Gewalt trifft alle Schichten und Nationalitäten», betont die Betriebsleiterin. Lediglich bei der Hälfte der 108 Frauen (98 Kinder und 10 junge Frauen), welche 2011 vorübergehend im Frauenhaus wohnten, handelte es sich um Ausländerinnen. Unterschiede sind jedoch erkennbar: «Eine Frau, die über ein gutes soziales Netz und eine Arbeitsstelle verfügt und somit finanziell unabhängig ist, reagiert meist bei häuslicher Gewalt schneller, als beispielsweise eine Frau mit Migrationshintergrund, welche die Sprache nicht beherrscht undfinanziell von ihrem Partner abhängig ist», zeigt Bueno auf. Besonders für Frauen, welche in ihrem Wertesystem und Denkmuster, sich ausschliesslich in der Rolle der Ehefrau und Mutter sehen, ist es schwierig, eine Beziehung oder Ehe als gescheitert zu bezeichnen. «Viele Frauen akzeptieren die Gewalt, damit die Familie intakt bleibt.»

Noch heute ein Tabu

 

Die Betroffenheit von Kindern sei noch heute ein Tabuthema, erklärt Bueno. Das Frauenhaus Aargau-Solothurn leistet deshalb an Schulen Präventionsarbeit und zählt auf die Sensibilität der Lehrpersonen. «Ein Kind, welches erlebt, wie die Mutter Misshandlung akzeptiert, lernt daraus, dass Schlagen in Ordnung ist und Gewalt ein Mittel um seine Wünsche durchzusetzen», weiss die Soziologin. Sehr viele Klientinnen des Frauenhauses Aargau-Solothurn, welche sich durchschnittlich 27 Tage im Frauenhaus aufhalten, bringen ihre Kinder mit. Manche gelangen via Krankenhaus ins Frauenhaus oder werden nach einer Auseinandersetzung von der Polizei ins Frauenhaus gebracht.

Der Mutter wird eine Beraterin zur Seite gestellt und die Kinder erhalten eine Bezugsperson. In dieser Zeit gilt es, die Frau psychisch zu stabilisieren. Es komme auch immer wieder vor, dass Kinder aufgrund einer Eskalation die Polizei rufen und somit den Prozess anschieben. Diese Kinder hätten vielmals mit Schuldgefühlen zu kämpfen und diesen gelte es entgegenzusteuern, erklärt Bueno. Zwei Mitarbeiterinnen arbeiten deshalb im Bereich der Kinderbetreuung. «Wir versuchen für Mutter und Kind Schutz und ein stabiles Umfeld zu schaffen», betont Bueno. Das Frauenhaus Aargau-Solothurn arbeitet dabei eng mit externen Beratungsstellen, wie zum Beispiel dem Kinderpsychologischen Dienst, zusammen. «In den Kantonen Luzern und Bern werden männliche Kinderbetreuer eingesetzt, um den Kindern ein anderes Männerbild zu vermitteln. Ich begrüsse diese innovative Arbeit», so Bueno.

Viele kehren zurück

 

Während der durchschnittlichen Aufenthaltszeit von 27 Tagen hat die Klientin zu entscheiden, ob sie sich trennen möchte oder sie in die Partnerschaft zurückkehrt. «2011 kehrten 27 Prozent in die Partnerschaft zurück», bestätigt Bueno. Dies sei auch für die Mitarbeiterinnen des Frauenhauses hart, doch die meisten Frauen schaffen nach einer weiteren Eskalation, den Absprung. Dies auch aufgrund der bereits bestehenden Kontakte zum Frauenhaus und anderen Beratungsstellen oder der Beratung, welche sie auch nach dem Verlassen des Frauenhauses in Anspruch nehmen können. Falls sich eine Frau zu einer Trennung entschliesst, wird mit einem Eheschutzverfahren eine superprovisorische Massnahme installiert. Dies bedeutet, es wird angeordnet, dass die Kinder bei der Mutter bleiben können, die Alimente werden definiert und die Wohnungssituation geklärt. «Wir unterstützen die Frauen bei der Beantragung der Sozialhilfe und bei der oftmals schwierigen Wohnungssuche», so Bueno und fügt an: «Wenn eine Frau bereits ältere Kinder hat, unterstützen wir sie auch bei der Arbeitssuche.» Daneben lernen die Frauen mit dem Computer umzugehen, einen Lebenslauf und Bewerbungsbrief zu erstellen und je nach Sprachkenntnissen werden auch Deutschkurse angeboten.

Intervention — wichtig für das Team

 

Jael Bueno leitet seit Mai 2009 das Frauenhaus Aargau-Solothurn. Die Soziologin arbeitete während mehr als 10 Jahren im Bereich der Gewaltprävention. Vor der Tätigkeit im Frauenhaus Aargau-Solothurn betreute die Ehefrau und zweifache Mutter ein Projekt des Nottelefons Zürich. Das Frauenhaus Aargau-Solothurn beschäftigt Psychologinnen, Sozialarbeiterinnen und Juristinnen. Daneben sind in der Kinderbetreuung zwei Sozialpädagoginnen und eine Kinderpsychologin tätig. Zudem kümmert sich eine Person um den Hauswirtschaftsbereich, denn es gilt, regelmässig rund 12 Klientinnen und bis zu15 Kinder zu verpflegen. Zwei Springerinnen ergänzen das Team und eine Person kümmert sich zudem um die administrativen Belange. «Wir führen regelmässig Interventionen (Gesprächsrunden) durch, damit das Personal Gehörtes verarbeiten kann.» Was sind die schönen Seiten bei der Arbeit im Frauenhaus? «Die jeweilige persönliche Entwicklung der Frauen ist eine schöne Seite des Berufs», ist Bueno überzeugt. Hat die Gewalt zugenommen? «Gewalt hat heute ein anderes Gesicht: So wird den Kindern und Jugendlichen via Medien ein schwieriges Bild der Normalität vermittelt, welches stark von Macht und Pornografie geprägt ist. Bereits von Jugendlichen werden Nacktfotos gemacht und ins Internet gestellt. Im Bereich der häuslichen Gewalt ist es für mich erschreckend, wie einfach es ist in den Besitz einer Waffe zu kommen», betont Bueno. Und wie gestaltet sich die Zukunft der Frauenhäuser? «Die Frauenhäuser befinden sich im Entwicklungsprozess, um auf die neuen Herausforderungen im Bereich der häuslichen Gewalt reagieren zu können», erklärt Jael Bueno.

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