«Schwerhörige werden ausgegrenzt»

Pro Audito Olten Die Geschäftsstelle von Pro Audito Olten bietet Beratung für Hörgeschädigte an. Der Verein organisiert zudem gesellige Anlässe für Betroffene.

Geschäftsführer Rainer Nussbaumer und Vereinspräsident Albert Schumacher hören immer ganz genau zu. (Bilder: Caspar Reimer)

Geschäftsführer Rainer Nussbaumer und Vereinspräsident Albert Schumacher hören immer ganz genau zu. (Bilder: Caspar Reimer)

Pro Audito bietet neben Beratungen und sozialen Anlässen auch Gedächtniskurse für Betroffene an.

Pro Audito bietet neben Beratungen und sozialen Anlässen auch Gedächtniskurse für Betroffene an.

Sitzt man mit Rainer Nussbaumer und Albert Schumacher zum Gespräch an einen Tisch, fällt sofort auf, wie intensiv die beiden Männer einem ins Gesicht schauen, fast so, als versuchten sie die Worte von den Lippen abzulesen. Überraschung, der Schein trügt nicht: Albert Schumacher ist Vereinspräsident von Pro Audito Olten, Rainer Nussbaumer leitet dessen Geschäftsstelle.

Pro Audito, schweizweit als Verband organisiert, bietet Hilfe und Beratung für Menschen mit einer Hörschädigung: «Wenn man mit Hörgeschädigten zu tun hat, ist es wichtig, ihnen ins Gesicht zu sehen, während man spricht. Für Betroffene ist das Lippenlesen eine grosse Unterstützung, um das Gesagte zu verstehen», sagt Albert Schumacher, der selbst schwerhörig ist und dem Verein seit 2009 als Präsident vorsteht. Die eigene Schwerhörigkeit wollte der heute 79-Jährige lange nicht wahrhaben: «Meine Frau und meine Kinder wiesen mich immer wieder darauf hin, dass ich schlecht höre, aber ich habe lange gewartet, bis ich mir ein Hörgerät angeschafft habe. Eine Brille zu tragen ist selbstverständlich, bei einem Hörgerät sieht es anders aus.» Von einem früheren Vereinsmitglied wurde er angefragt, ob er Lust hätte, bei Pro Audito mitzumachen – so ist Schumacher zu seinem Amt gekommen.

Rainer Nussbaumer, selbst nicht hörgeschädigt, ist durch seine Tätigkeit bei Pro Audito sensibilisiert: «Neben Beratungen, etwa im Vorfeld der Anschaffung eines Hörgerätes, bieten wir auch Kurse an, in denen Betroffene lernen, von den Lippen abzulesen», sagt der 59-Jährige., Neben intensivem Blickkontakt der beiden Männer fällt auf, dass sie keineswegs laut, dafür eher in gemächlichem Tempo und sehr deutlich sprechen: «Es bringt nichts, Hörgeschädigte anzuschreien. Das Problem ist nämlich nicht primär das Hören, sondern das Verstehen.» Gerade deshalb sei es wichtig, bei Schwerhörigkeit rechtzeitig Hilfe zu suchen, weil es das Gehirn ansonsten verlerne, akustische Informationen zu verarbeiten, so Nussbaumer weiter. Auch dafür bietet Pro Audito Trainingskurse an.

Bewegte Geschichte

Gegründet wurde der Verein 1932 als Selbsthilfegruppe unter dem Namen Schwerhörigenverein Olten mit zehn Hörbehinderten und schon bald gehörten Ablesekurse, sportliche Tätigkeiten oder kulturelle Anlässe mit Höranlagen dazu. Auch juristische Beratung spielte eine Rolle, weil Hörgerätehändler noch in den 40er-Jahren des letzten Jahrhunderts untaugliche Geräte verkauften. Der Schwerhörigenverein nahm sich der Problematik an und begann, selbst gute Hörgeräte zu verkaufen.

Bis in die 1950er-Jahre fanden Beratungen in Sitzungszimmern von Restaurants statt, Geräte wurden in Koffern mitgebracht. «Später führten wir ganze zehn Verkaufsstellen, die dann jedoch vom Hörfachgeschäft Kind übernommen wurden», sagt Nussbaumer.

Um die Jahrtausendwende gründete der Schwerhörigenverein eine Stiftung und änderte den Namen in Pro Audito Olten. «Heute sind wir vorwiegend als Beratungsstelle tätig, in welcher Vereinsmitglieder aber auch andere Betroffene, die unter Schwerhörigkeit leiden, kostenlos Unterstützung bekommen.» Ratsuchende seien vorwiegend ältere Personen, sagt Schumacher, denn «die Jungen beschaffen sich ihre Informationen im Internet.» Zur Beratungstätigkeit sagt Nussbaumer: «Es wäre gut, wenn Betroffene zuerst zu uns kommen, denn die Preise für Hörgeräte sind teilweise sehr hoch, dabei ist es oft gar nicht nötig, das teuerste zu kaufen. Betroffene sollten jeweils mehrere Angebote einholen. Wir können hier Sensibilisierungsarbeit leisten. Häufig gibt es günstigere Geräte, die denselben Nutzen bringen.»

Noch heute komme es vor, dass Angestellten gekündigt wird, wenn sie einen Hörverlust erleiden: «Dabei wäre es für den Arbeitgeber eine einmalige Investition, eine Höranlage anzuschaffen. Gerade neulich hatten wir mit einem solchen Fall zu tun, aber die Betroffene wollte nicht, dass wir uns für sie bei ihrem Arbeitgeber einsetzen», so Nussbaumer.

Sozialer Austausch

Damals wie heute bietet Pro Audito gesellige Anlässe wie Jassen oder Kegeln für Hörgeschädigte an. Ein Betroffener würde nicht mit Guthörenden in ein Restaurant Jassen gehen, sagt Schumacher: «Schwerhörige werden ausgegrenzt. Oft fehlt die Geduld oder das Verständnis von Nichtbetroffenen.» Auch für ihn selbst sei der soziale Austausch bei Pro Audito wichtig. «Zudem hält die Tätigkeit als Präsident das Gehirn in Schwung», sagt er lachend.

Auf die Frage, wie sich das Gehör schützen lasse oder was zu meiden sei, um das Gehör zu erhalten, sagt Schumacher: «Ganz schlecht für das Gehör ist es sicher, dauernd sehr laut Musik zu hören.» Manchmal beobachtet er junge Leute, die im geschlossenen Auto die Musik voll aufdrehen: «Denn denke ich jeweils, dass die sicher später ein Hörgerät brauchen werden.»

www.pro-audito.ch

 

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