Scout durch den Papierdschungel

Pro Infirmis Gegründet wurde sie 1920 im Oltner Bahnhofbuffet, getauft auf den unsäglichen Namen «Schweizerische Vereinigung für Anormale». Seither hat sich Vieles verändert. Heute heisst die Organisation «Pro Infirmis» und geblieben in Olten ist eine Zweigstelle.

Markus Jeker empfindet seine Tätigkeit als Leiter der Pro Infirmis Stelle Olten als sehr befriedigend. Patricia Schoch)
Markus Jeker empfindet seine Tätigkeit als Leiter der Pro Infirmis Stelle Olten als sehr befriedigend. Patricia Schoch)

Als Banker würde er sicher mehr verdienen. Doch Geld ist bekanntlich nicht alles. Markus Jeker hat sich gegen eine mögliche Karriere bei der Bank und für die Sozialarbeit entschieden. Bereut hat er diesen Schritt noch nie. Seit zehn Jahren bereits leitet er die Zweigstelle von Pro Infirmis in Olten. Zusammen mit einem Team bestehend aus zwei Sozialarbeitern und einer Arbeitskraft in der Administration ist Jeker zuständig für die Region von der Aargauer Kantonsgrenze bis Egerkingen.

Die Organisation Pro Infirmis steht für die Beratung von Menschen mit Behinderungen und ihren Angehörigen. Neben Menschen mit körperlicher und geistiger Behinderung gehören seit 2002 auch psychisch Behinderte zum Klientel. Diese bilden mit 37% gar die grösste Gruppe unter den Betroffenen, die von Pro Infirmis betreut werden. Die Organisation ist Anlaufstelle bei Problemen aller Art. Meist handelt es sich dabei um Fragen bezüglich Finanzen oder Sozialversicherung. «Viele sind ganz einfach überfordert vom Papierdschungel, der auf sie zukommt», erzählt Jeker. «Die Klienten wissen nicht, welche Ansprüche sie haben, welche Voraussetzungen dazu erfüllt werden müssen und woher sie konkret Hilfe erhalten können». Auch die Angehörigen benötigen Unterstützung. Sie erhalten Hilfestellung bei der Betreuung; werden über Entlastungsmöglichkeiten informiert. Um in den Zuständigkeitsbereich von Pro Infirmis zu gehören, muss eine Behinderung in Bezug zur Invalidenversicherung stehen. Daher arbeitet Pro Infirmis Olten eng mit der AHV und IV Zweigstelle Solothurn zusammen.

Schritte in Richtung Unabhängigkeit

 

Ein zentrales Anliegen für Menschen mit Behinderung ist die Selbstständigkeit. Dazu gehört auch das Wohnen in eigenen vier Wänden. Hier bietet Pro Infirmis verschiedene Möglichkeiten. Beim begleiteten Wohnen beispielsweise erhalten Menschen mit geistigen oder psychischen Behinderungen Betreuung in ihrem Zuhause. In der Wohnschule werden Personen mit geistiger Behinderung auf das Leben in einer eigenen Wohnung vorbereitet. Sie lernen, ihren Alltag zu meistern und sich eine gewisse Unabhängigkeit zu erarbeiten. Seit dem Zusammenschluss der kantonalen Geschäftsstellen Solothurn und Aargau im letzten Jahr steht dieses Modell auch für Solothurner zur Verfügung.

Neu bietet Pro Infirmis Olten zudem gemeinsam mit der IV Zweigstelle die sogenannte «Assistenzberatung» an. In dieser Form des selbstständigen Wohnens stellen Menschen mit Behinderung Assistenten zur Unterstützung in verschiedenen Funktionen ein. Die Assistenzberatung hilft dabei, die ungewohnte Rolle als Arbeitgeber und damit verbundene Schwierigkeiten zu bewältigen.

Ebenso wichtig ist das ThemaArbeit. Auch hier ist die Organisation aktiv. Beispielsweise stellt Pro Infirmis Olten mit der Tagesstätte Gerlafingen rund 15 geschützte Arbeitsplätze zur Verfügung. Markus Jeker wünscht sich allerdings mehr Nischenarbeitsplätze in der freien Wirtschaft. «Leider haben viele Arbeitgeber Angst davor, Fehler im Umgang mit behinderten Arbeitnehmern zu machen», so Jeker. «Oder sie fürchten, diese mit dem Bezahlen eines tiefen Lohnes auszubeuten. Dabei ist dies kein Thema, zahlt doch die IV die Differenz zum Niedriglohn».

Verständnis, günstige Wohnungen und Arbeitsplätze

 

Seine Tätigkeit bei Pro Infirmis empfindet Markus Jeker als sehr befriedigend. «Es gibt mir ein gutes Gefühl, Menschen helfen zu können, die es meist alles Andere als einfach haben. Aufsteller gibt es immer wieder», betont er. Oft aber ist die Arbeit auch nicht leicht. «Man sieht traurige Dinge, Elend. Das lässt sich nicht immer schnell vergessen. Doch ich kann gut abschalten», versichert Jeker. Dabei hilft schon die halbstündige Zugfahrt zur Arbeit nach Olten. Eine gute Work Life Balance tut das Übrige. Markus Jeker holt sich seinen Ausgleich beim Sport, beim Lesen und vor allem in seiner Familie.

Was wünscht sich Jeker für die Pro Infirmis Olten? «Geld, ja natürlich, das können wir immer brauchen», lacht er. Günstige Wohnungen und Arbeitsplätze in der freien Wirtschaft, das wäre auch schön.» Aber an vorderster Stelle steht für ihn das Verständnis. «Ob jemand eine Behinderung hat oder nicht ist reiner Zufall», sagt Jeker. «Es kann Jedem passieren, jederzeit. Dies sollten wir uns viel öfter ins Bewusstsein rufen. Menschen mit einer Behinderung verdienen dieselbeAkzeptanz wie wir.»

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