Ein stiller Freund

Sandro Güntert Sandro Güntert ist einer von nur fünf Bestattern in der Schweiz, die Verstorbene einbalsamieren. Das tut er, um anderen zu ersparen, was ihm verwehrt war.

Bestatter und Einbalsamierer Sandro Güntert nimmt zwischen drei und fünf Einbalsamierungen pro Monat vor. Anfang Jahr übernahm er die Badener Bestattungen in Wettingen. (Bild: Franz Beidler)
Bestatter und Einbalsamierer Sandro Güntert nimmt zwischen drei und fünf Einbalsamierungen pro Monat vor. Anfang Jahr übernahm er die Badener Bestattungen in Wettingen. (Bild: Franz Beidler)

Sandro Güntert lächelt herzlich, legt den Kopf zur Seite und verbeugt sich leicht. «Auf Wiedersehen und tragen Sie sich Sorge», sagt er mit freundlicher Stimme. Eben hatte er erzählt, dass er sich immer bewusst verabschiede. «Zum Beispiel auch jeden Morgen von meiner Lebenspartnerin. Egal, was gerade ist.» Güntert ist seit sechzehn Jahren Bestatter und nur einer von fünf Einbalsamierern in der Schweiz. Anfang Jahr übernahm der 37-jährige Oltner die Badener Bestattungen mit Sitz im aargauischen Wettingen.

«Abschied nehmen darf auch farbig sein», sagt Güntert im dortigen Ausstellungsraum und zeigt auf die Urnen: Ein gelbes, ein blaues und ein pinkes Exemplar stehen im Regal, manche sind Würfel, andere Kugeln, eine ist hölzern und in Handarbeit zu einer Rose geschnitzt. «Die Angehörigen sollen so Abschied nehmen können, wie sie möchten», betont Güntert. «Das möglich zu machen, ist meine Aufgabe.»

«Das ist eine grosse Ehre»

Günterts Arbeit beginnt üblicherweise mit einem Anruf. Daraufhin holt er den Leichnam ab. «Die Verstorbenen werden uns anvertraut», beschreibt es Güntert. «Das ist eine grosse Ehre.» Von einem Leichnam redet er nie.

Dann bespricht er mit den Angehörigen die Bestattung. «Das erfordert Fingerspitzengefühl, denn sie stehen oft vor einem Berg an Aufgaben.» Urne oder Sarg, ein Sujet auf der Trauerkarte, die Blumen auf dem Grab, das Menu am Traueressen: All das muss entschieden werden. Dazu kommt Administratives, zum Beispiel mit Gemeinden, Vermietern oder Banken. «Ich versuche das zu organisieren, damit die Angehörigen Raum bekommen, um zu trauern», beschreibt er seinen Beruf. «Ich bin ein stiller Freund, der ihnen die Hand reicht.»

Manchmal rät Güntert dann auch zu einer Einbalsamierung. «Zum Beispiel, wenn die Verstorbenen in einem anderen Land beerdigt werden und die Rückführung lange dauert», erklärt er. «Oder wenn sich das Aussehen stark verändert hat.» Der letzte Anblick sei für die Angehörigen wichtig, weiss Güntert. «Nach Unfällen zum Beispiel können wir die Verstorbenen wieder rekonstruieren und ihnen die Würde zurückgeben.» Aber auch den natürlichen Zerfall kann eine Einbalsamierung stoppen, wenigstens für ein paar Wochen.

Ein weiss geplättelter Raum

In Wettingen führt eine Tür hinten im Ausstellungsraum in den Hygienebereich, einem weiss geplättelten Raum. In der Mitte steht ein metallener Tisch, der an jene in Krimiserien erinnert, an denen jeweils die Leichen untersucht werden. «Das erschreckt manche im ersten Moment», erzählt Güntert. Dabei sei an seiner Arbeit nichts Erschreckendes. «Alles ist erklärbar», betont er. Und dafür nimmt sich Güntert auch gerne Zeit, zeigt den Angehörigen die Räume und erklärt ihnen die Abläufe. «Wir sind ein offenes Haus.»

Zwischen drei und fünf Einbalsamierungen pro Monat macht Güntert. Dafür tauscht er mit Hilfe einer Einbalsamierungspumpe das Blut im verstorbenen Körper aus. «Hauptbestandteil der Einbalsamierungsflüssigkeit ist Wasser, wenige Prozent davon sind Formalin», erklärt er. Das Gemisch erreiche jeden Winkel des Körpers, «dank unserem genialen Gefässsystem.» So gewinnt der tote Körper wieder jenes Volumen, das ihm der Verfall genommen hat.

Bei der Einbalsamierung würden die Angehörigen üblicherweise nicht dabei sein wollen, erzählt Güntert. «Bei allen Schritten danach ist das aber oft der Fall.» Einkleiden, frisieren und die kosmetische Behandlung – das sei eine Form des Abschiednehmens, der letzten Ehre. «Das sind dann jeweils schöne Momente, welche die Angehörigen mit mir teilen.» Auch Güntert selber empfindet das so. Er hat seinen Vater, seinen Cousin und seine Grossmutter selber bestattet. «Ich gebe alles von mir für fremde Menschen. Wieso sollte ich das für meine Liebsten nicht auch tun?»

«Um anderen Leuten das zu ersparen»

Die Bestattung von seinem Cousin vor neun Jahren war es denn auch, die ihn zum Thanatopraktiker, so heisst der Einbalsamierer in der Fachsprache, werden liess. Güntert war da bereits ein erfahrener Bestatter und arbeitete beim Bestattungsamt der Stadt Zürich, wo er auch die Ausbildung absolviert hatte. «Mein Cousin starb mit 32 Jahren an einer plötzlichen Hirnblutung», erzählt er. Als die Untersuchung des überraschenden Todesfalls endlich abgeschlossen war, hatte sich der Körper bereits stark verändert. Die Familie hatte Günterts Cousin zuvor nicht mehr gesehen. Während der Bestattung fand Güntert: «Das muss doch besser gehen.» Also liess er sich in Deutschland und England zum Einbalsamierer ausbilden. «Um anderen Familien das zu ersparen.»

Er habe schon immer einen natürlichen Umgang mit dem Tod gehabt, sagt Güntert von sich. An seinem ersten Schnuppertag vor über siebzehn Jahren wurde ihm gesagt, er müsse am Abend einfach den Schalter umlegen lernen. «Vergiss es!», findet Güntert heute. «Wer einen Schalter hat, hat kein Mitgefühl mehr.» Bestatter sein, sei für ihn eine Herzensangelegenheit. «Deshalb brauche ich nicht so etwas wie einen Ausgleich.» Und falls ihn mal ein Schicksal überfordere, habe er eine Lebensgefährtin, mit der er über alles sprechen könne.

Ausserdem ist Güntert ein begeisterter Fasnächtler der Oltner Guggi Zunft. Letzten Sommer organisierte er die erste Oltner «Höubi Chöubi» mit. Und er ist Teil des «Guggilari»-OK. «Klar ist die Musik ein Ventil», meint der passionierte Paukist. Umso trauriger, musste der Traditionsanlass dieses Jahr abgesagt werden.

Die vielen lebensfrohen Momente mit Familie, Freunden oder seinen Zunftbrüdern geniesse er sehr, meint Güntert. «Vielleicht erlebe ich die, gerade weil ich Bestatter bin, etwas bewusster.»

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