Göttliche Ordnung
Neulich habe ich einer Kantonsschülerin aus Solothurn bei der Maturarbeit geholfen. Sie schrieb über die Gleichstellung von Frau und Mann. Es sei für sie «unglaublich», schrieb sie, dass die neutrale und gerechte Schweiz erst seit 35 Jahren einen Gleichstellungsartikel kenne, der Frauen und Männern die gleichen Rechte zugesteht.
Für diese Rechte sind letzten Samstag in Zürich Frauen auf die Strasse gegangen. Bewehrt mit selbstgestrickten rosa Mützen und pinken Regenschirmen, trotzten sie zu Tausenden dem Regen. «Viele Frauen sind wütend», zitierte der Tages-Anzeiger eine der Organisatorinnen, eine
22-jährige Studentin. Denn Themen wie Lohngleichheit, der hohe Anteil an Gratisarbeit, den Frauen leisten würden, sexuelle Gewalt – all dies seien Themen, «die nicht auf der politischen Agenda stehen und nicht behandelt werden.»
Mich stimmt das Ganze eher nachdenklich als wütend. Denn dieselben Themen haben schon meine Generation vor 30 Jahren umgetrieben. «Wir kommen nicht vom Fleck», sage ich zu meinem Gatten beim Kaffeetrinken, «wir demonstrieren seit einer Ewigkeit gegen Lohndifferenzen und Chancenungleichheit.» Mein Gatte ist der Ansicht, die Zeit der Demos sei ohnehin vorbei. Schuld sei der Staat, der Familien- und Gratisarbeit viel tiefer bewerte als berufliche Erfahrungen. Und das könne auch die Männer treffen.
Ich seufze und beschliesse, ins Kino zu gehen: «die göttliche Ordnung» rund um die Einführung des Schweizer Frauenstimmrechts. Die Mittlere hat ihn bereits gesehen und empfiehlt mir, ihn zusammen mit meiner Mutter anzuschauen. «Ein toller Film», sagt sie, «spielt Anfang der siebziger Jahre. Du glaubst nicht, was da los war!»