Klapptisch-Philosophie

Urs Bloch, Mediensprecher.
Urs Bloch, Mediensprecher.

«Die Menschen von heute haben alles, aber sie leiden an sich selbst.» Irgendjemand schrieb diesen Satz irgendwann auf die schmale Seite eines Klapptischchens in einem SBB-Doppel- stockwagen. Das Tischchen war zugeklappt, der Satz stand deshalb auf dem Kopf, als ich ihn las. Auf der Fahrt frühmorgens von Olten nach Bern. «Die Menschen haben alles», das sagt sich oft sehr leicht angesichts der materiellen Fülle in diesem Land. Aber wäre «alles haben» nicht so etwas wie das Ideal eines glücklichen Lebens? Und dazu gehört mehr als Güter und Geld. Es sind die guten Menschen um uns herum, eine zuversichtliche und dennoch engagierte Gelassenheit sowie geistige und körperliche Gesundheit. Was gehört sonst noch in den Korb des guten Lebens? Und leiden wir wirklich an uns selbst, wenn wir leiden? Wäre dies nicht eine Folge falscher Massstäbe, die wir an uns richteten, Erwartungen, die nicht zu erfüllen sind? Ein Satz, hingeschrieben mit schwarzem Filzstift auf die schmale Seite eines Klapptischens, bot mir genügend Anregung für 26 Minuten Zugfahrt. Einfacher war die Botschaft auf dem gelben, selbstklebenden Zettel am Migros-Wägeli: «Batterien, Zahnbürste, Schokolade». Und doch: Genügend Stoff für eine Geschichte gäbe es auch hier. Eine Geschichte vielleicht, die uns fortträgt in die Welt einer anderen Person. Sich hineindenken in das Leben eines Fremden. Ob diese Person auch an sich leidet? Und noch einmal simpler war die Botschaft, auf die ich in der Garderobe der Badi Olten stiess, als ich ein Kästchen öffnete, das sich mithilfe eines Zweifränklers schliessen lässt. «You are beautiful», stand da auf einem Abziehbild. Ich nahm die Aussage durchaus persönlich.

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