Sound of Silence
Es war letzten Donnerstagabend im Bahnhof Solothurn zur Zeit der Pendler. Auf dem Perron gegenüber übten zwei schlaksige Jugendliche kleine Tricks auf ihren Skateboards, neben mir warteten Ältere und Jüngere auf den angekündigten Regionalzug Richtung Olten. Gedanken- versunken, den Blick auf die Gleise gerichtet, manche mit Kopfhörern in den Ohren. Nun nahm ein Strassenmusiker seinen Platz ein in diesem kleinen, sich täglich wiederholenden Theaterstück.
Er hatte sich auf dem Vorplatz des Bahnhofs eingerichtet, vor ihm stand ein Mikrofon und am Boden ein kleiner Verstärker. Zaghaft begann der junge Mann eine Akkordfolge auf seiner Gitarre zu spielen. Er hatte Respekt vor dem Instrument und Respekt vor dem Stück, das nun anhob. Dann setzte seine Stimme ein, die ersten Worte von «Sound of Silence», in einer mir unbekannten Version. Es war wohl seine eigene Adaption und sie gab dem Stück eine zutiefst eindringliche Wirkung. Seine Stimme hatte Charakter und der junge Mann war ganz bei der Musik. Die Leute um mich herum, etwas ausgelaugt vom Arbeitstag, wurden gewahr, dass hier etwas Besonderes passierte. Ein gar kleines Kunststück zwar, doch eines, das viele von uns berührte. Wir wandten unseren Blick weg von den Gleisen, dorthin, wo unsere Ohren bereits waren. Ein Wimpernschlag lang schien es, also würde diese Bahnhofszene einfrieren. Der junge Mann hatte der Welt um ihn herum eine Sekunde genommen und eine kleine Ewigkeit geschenkt. «Was kann man dem Lärm der Zeit entgegensetzen? Nur die Musik, die wir in uns tragen, die Musik des Seins», schreibt der Schriftsteller Julian Barnes in seinem neusten Buch. Wie Recht er doch hat, dachte ich beim Einsteigen in den Zug und liess mich in einen schönen Sommerabend tragen.